Anruf aus Nizza
abzukürzen, brach er durch das dichte Ufergestrüpp. Wie würde er sie finden? Tot? Vergiftet?
Und wo waren die Kinder? Sonst trieben sie sich doch stets hier unten herum, er konnte sie jetzt nicht brauchen, auf keinen Fall. Oh Gott, wenn auch die Kinder...
Als er ins Bootshaus stürmte, übersah er Dominique und Martin, die sich hinter einer Zeltplane versteckt hatten. Dafür sah er Monika.
Sie saß zusammengekauert in dem großen Boot, den Kopf in die Hände gestützt, und starrte auf den See hinaus. Sie fuhr zusammen, als er neben dem Boot auftauchte, atemlos vor Angst.
»Moni!«
Sie schaute ihn an, brauchte Sekunden, um ihn zu erkennen, ihre Gedanken waren weit weg gewesen. Dann aber wandte sie sich wortlos von ihm ab.
Er kletterte über den schweren, eisernen Wagen, auf dem das Boot ruhte, und setzte sich neben sie. Mit einer zarten, behutsamen Bewegung griff er nach ihren Händen.
»Moni!«
Sie senkte den Kopf, das Haar verdeckte ihr Gesicht. Er drehte ihre Hände so, daß sie eine Schale bildeten und legte sein Gesicht hinein.
»Ich weiß alles, Moni. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.«
Er fühlte, wie sie zusammenzuckte.
»Alles?« flüsterte sie. »Du weißt alles? Nein, das ist nicht möglich. Du kannst nicht alles wissen«
»Doch, Moni. Wolfgang war heute morgen bei mir, er hat mir alles erzählt.«
Sie brauchte einen Augenblick, um seine Worte zu begreifen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, Robert, das ist nicht alles, es ist nur ein schrecklicher Anfang. Das Ende ist...«
Sie entzog ihm ihre Hände, bedeckte ihr Gesicht damit. »Das Ende ist noch schrecklicher.«
Ganz langsam streichelte er ihr Haar, ihre Wangen, über die unaufhaltsam die Tränen rannen.
»Moni, wenn wir nachher hinaufgehen... Sie ist fort.«
Ungläubig, aber schon mit einem Schimmer von Hoffnung, schaute sie ihn an.
»Sie... ist fort, Robert? Wirklich fort?«
»Ja. Sprechen wir nie mehr davon.«
»Ich habe so furchtbare Fehler gemacht, Robert.«
»Wir beide«, sagte er. »Du hattest Kein Vertrauen zu mir, und ich habe dir durch mein Verhalten keine Möglichkeit gegeben, mir dein Vertrauen zu schenken. Wir sind quitt.«
Ihre Hand suchte zaghaft die seine.
Plötzlich fuhren sie beide auf, es gab einen Ruck, der sie fast nach hinten warf, und dann begann das Boot mit dem Wagen zu rollen, aus dem Bootshaus hinaus, immer schneller, über den steinigen Strand, dem Wasser zu.
Und hinter ihnen gab es lautes, jubelndes Geschrei der Kinder:
»Stapellauf! Stapellauf! Stapellauf!«
Robert hatte es früher oft mit den Kindern gespielt: man brauchte nur auf einen Knopf an der Seilwinde zu drücken, dann rollte das große, schwere Boot mit dem Wagen ins Wasser hinunter, und dieses Spiel hatten sie früher Stapellauf genannt. Lange, lange Zeit hatte es niemand mehr mit den Kindern gespielt.
Robert und Monika wandten sich um. Das Boot fuhr rauschend ins Wasser. Oben, vor dem Bootshaus standen Dominique und Martin, sie winkten mit ihren Taschentüchern und brüllten noch immer aus Leibeskräften ihr »Stapellauf«.
Das Boot verlangsamte seine rauschende Fahrt, schaukelte leise auf dem See.
Robert nahm Monika in seine Arme und küßte sie.
»Wie klug deine Kinder sind«, sagte er. »Weiß Gott, das ist wirklich ein Stapellauf...«
- E N D E —
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