Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen
Menschen in Deutschland befragt: »Was ist der Sinn des Lebens?« Dabei hat sich gezeigt, dass 55 Prozent der Menschen den Sinn darin sahen, das Leben zu genießen. Dreißig Jahre vorher gaben dies in Westdeutschland nur 27 Prozent an. Die Menschen verbanden ein sinnvolles Leben eher mit Gewissen (»Das tun, was mein Gewissen mir sagt«), mit Religion (»So handeln, wie Gott das erwartet«), mit Aufgabenerfüllung, Pflicht und auch gesellschaftlicher Verantwortung (»Dabei helfen, eine bessere Gesellschaft zu schaffen«). Aber schon in den Siebzigerjahren verloren im Westen Deutschlands soziale oder altruistische Motive an Attraktivität. Nach dieser Umfrage wächst die »Spaßgesellschaft«, der sogenannte Hedonismus.
Die Menschen der Studie wurden nach Vorlage einer Liste zum Lebenssinn befragt. Auf dieser Liste standen dann Dinge wie »Privates Glück«. Zum »Privaten Glück« gehörten dann beispielsweise »Dass ich glücklich bin, viel Freude haben« oder »Dass meine Familie versorgt ist«. Ein anderer Punkt war »Beziehung zur Gesellschaft«. Darunter wurden Dinge gelistet wie: »Dass ich von meinen Mitmenschen geachtet werde, Ansehen habe.« Oder: »An meinem Platz mithelfen, eine bessere Gesellschaft zu schaffen.« Ein dritter Punkt war die »Ethische Verantwortung« mit Unterpunkten wie: »Dass ich vor mir selbst bestehen kann.« Oder: »Tun, was mein Gewissen mir sagt.«
Verstehen wir das unter dem Sinn des Lebens? Wenn wir uns überlegen, in welchen Zusammenhängen wir das Wort »Sinn« benutzen, kommen wir vielleicht auf Begriffe wie Uhrzeigersinn oder Orientierungssinn. Beide Begriffe haben etwas mit Richtung zu tun. Dementsprechend hat der Sinn des Lebens etwas mit Richtung, Ausrichtung oder Weg des Lebens zu tun. Wir haben Sehnsucht nach einem klaren, zukunftsgerichteten Ziel, das unser eigenes Streben sinnvoll macht und unserem Leben eine klare Richtung vorgibt.
Außerdem haben wir Angst vor unserer eigenen Sterblichkeit. Natürlich wissen wir, dass alle Menschen irgendwann einmal sterben werden. Wir wollen genau diese Angst ausgleichen, indem wir ihr einen Sinn gegenüberstellen und so versuchen, unser seelisches Gleichgewicht wieder herzustellen. Wir könnten sagen, dass das seelische Gleichgewicht eine Art ausdauerndes Gefühl innerer Harmonie ist. Dieses ausdauernde Gefühl der inneren Harmonie ist ein anderer Ausdruck für das, was Aristoteles unter Glück verstand. Glück ist damit nicht der kurze Moment der Lust oder der Freude, sondern eher die innere Balance eines Menschen. Wenn wir diese innere Balance herstellen wollen, braucht unser Leben so etwas wie einen Sinn. Doch geht es wirklich um diesen allgemeinen Sinn, wenn es um Glück geht? Ich denke, wir können davon ausgehen, dass dieser eher allgemeine Sinn etwas mit unserem individuellen Sinn zu tun hat. Wenn wir an vormoderne Völker denken, so stellten diese Menschen eher selten die Frage nach Ihrem Sinn des Lebens. Es gab klare soziale Konventionen, deren Sinn nicht problematisiert wurde. Denn der Sinn lag mehr oder weniger darin, das zu tun, was die Vorfahren taten. Damit hatte der einzelne Mensch eine ganz klare Funktion innerhalb eines größeren Ganzen. Dieses größere Ganze legte damit auch den individuellen Sinn jedes einzelnen Menschen in einer Gemeinschaft fest.
In Zeiten der Aufklärung, der Moderne, tritt an die Stelle des Glaubens die Vernunft. Hat das Christentum im Mittelalter noch ein umfassendes Sinn-System geboten, wird dieses System in der Aufklärung immer mehr infrage gestellt. Wir können Vorgedachtes und Vorgegebenes nicht mehr einfach nur so übernehmen. Aber die Aufklärung schafft neue Systeme, an deren Spitze die Vernunft steht. Auch in Zeiten der Aufklärung geht man davon aus, dass das Universum geordnet ist, der einzelne Mensch jedoch für sich selbst verantwortlich ist. Im Höhepunkt der Aufklärung, dem Idealismus, ist es für Hegel keine Frage, dass die Menschheitsgeschichte auf ein Ziel zuläuft. Da jeder Mensch ein Teil der Menschheitsgeschichte und damit ein Teil des Ganzen ist, hat jeder Mensch ganz automatisch Sinn und Ziel.
Wie ist das heute, in sogenannten postmodernen Zeiten? Wenn wir uns geschichtlich orientieren, können wir feststellen, dass die große Sinnfrage meist in Zeiten auftaucht, in denen bislang als gesichert geltende Rollen, Überzeugungen und Konventionen in die Krise geraten sind. Beispielsweise schrieb der Philosoph Martin Heidegger sein Hauptwerk Sein und Zeit kurz nach
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