Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen
wünschen, unser Leben so zu führen, dass wir ganz bei uns sind, brauchen wir dazu eine gehörige Portion Mut.
Für den Existenzphilosophen Martin Heidegger, der von Nietzsches Gedankengut beeinflusst war, steht der Mensch, in Heideggers Wortschatz »das Dasein«, nicht der Welt gegenüber, sondern ist ein Teil von ihr. Wir werden ungefragt in die Welt »geworfen« und sind, von Anfang an, eine Art Einheit von Mensch und Welt. Damit ist das menschliche Dasein ein »In-der-Welt-Sein«. Auch andere Menschen gehören zum eigenen Menschsein. Wir Menschen kennen es gar nicht anders. Heidegger spricht also nicht von einem Individuum, sondern von einem »Man«, das unsere Lebensweise, unsere Kultur und letztlich unseren Willen bestimmt:
»Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt; wir ziehen uns aber auch vom ›großen Haufen‹ zurück, wie man sich zurückzieht; wir finden empörend, was man empörend findet. Das Man, das kein bestimmtes ist und das Alle, obzwar nicht als Summe, sind, schreibt die Seinsart der Alltäglichkeit vor.« 40 So Heidegger in seinem Hauptwerk Sein und Zeit .
Aber dieses Leben im »Man« ist für ihn kein eigentliches Leben. Denn wenn wir ausschließlich im »Man« sind, fliehen wir vor uns selbst in die Betriebsamkeit der Welt und suchen dabei eine Art Entlastung, um die Bürde des Daseins nicht auf uns nehmen zu müssen. Aber so bleiben wir immer hinter unseren Möglichkeiten zurück, denn wir schöpfen nur aus dem, was »Man« für reizvoll, machbar und notwendig hält.
Um unseren eigenen Entwurf leben zu können, müssen wir erst mal einen eigenen Lebensentwurf haben. Doch wenn wir es nicht aushalten, allein und bei uns selbst zu sein, woher soll der eigene Entwurf des Lebens dann kommen? Das Alleinsein ist im Grunde eine Fähigkeit oder vielleicht auch eine Tugend. Meist tritt das Alleinsein mit anderen Tugenden auf: den Tugenden der Gelassenheit und der Geduld. Denn wenn wir Geduld haben, können wir auch warten. Wenn wir gelassen sind, müssen wir nicht sofort auf jeden Reiz reagieren. Wir nehmen uns Zeit, uns zu besinnen. Denn wir sind zuversichtlich, soziale Anerkennung zu erhalten und nicht zu verlieren, auch wenn wir nicht auf alle Anfragen von außen sofort reagieren. Wir können oft dann schlecht alleine sein, wenn wir Angst haben, die Anerkennung anderer zu verlieren. Haben wir diese Angst, sind wir innerlich unruhig, fühlen uns einsam, aber nicht allein, sind »außer uns«, aber nicht »bei uns«. Das ist der Unterschied von Alleinsein und Einsamsein. In Momenten der Einsamkeit vergessen wir nicht uns selbst, sondern wir schenken uns selbst schmerzlich unsere ganze Aufmerksamkeit. Auch wenn kein anderer da ist, fühlen wir uns beobachtet und missachtet.
Es ist wohl so, dass wir dann, wenn unsere sozialen Beziehungen stimmen, wenn wir uns in der Gemeinschaft, in der wir leben, wohlfühlen, auch allein sein können. Dann können wir uns auch auf uns beziehen und bei uns sein. Stimmen unsere sozialen Beziehungen nicht, fühlen wir uns nicht wohl. Wir fühlen uns emotional einsam, selbst dann, wenn andere Menschen anwesend sind. Um diese fast unerträgliche Einsamkeit nicht spüren zu müssen, stürzen wir uns in die Arbeit, in die Außenwelt. Bei Heidegger in das »Man«.
Fast süchtig und zwanghaft nach Arbeit suchend, verhindern wir, dass wir uns mit unserer Innenwelt auseinandersetzen müssen. In unserer Arbeitsgesellschaft ist das kein Problem. »Arbeiten bis zum Umfallen« ist hoch angesehen und wird als Leistung auch noch honoriert. Bei Heidegger ist es beispielsweise die Angst, die die Flucht in die Außenwelt unterbrechen kann: Denn wenn wir existentiell bedroht, vielleicht sogar schwer krank werden, ist uns das Außen, das wir materiell geschaffen haben, unser Beruf, für den wir Tag und Nacht geschuftet haben, nichts mehr wert. Wir werden in der Angst auf uns selbst zurückgeworfen, was eine Chance ist, uns selbst näherzukommen.
Nach Professor Rolf Haubl, dem Direktor des Sigmund-Freud-Instituts, können wir aus dem Hamsterrad der Außenwelt aber auch aussteigen, wenn wir mutig sind. Und mutig sein heißt hier, dass wir fähig sind, allein sein zu können. Denn nur wenn wir allein sind, können wir auf uns selbst hören. Aber Alleinsein bedeutet auch, sich zurückzuziehen, den bestehenden Handlungsdruck zu reduzieren, ohne die Angst haben zu müssen, dadurch zu
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