Anschlag auf den Silberpfeil
ist.
„Vielleicht, Herr Jesper“, sagte er, „stehen
Sie gleich vor dem blutigen Beweis. Frau Rawitzky hat einen gefährlichen
Riesenkater, der ungebetene Gäste angreift. Vorhin sah ich zufällig, daß
Goliath — so heißt er — blutige Krallen hat. Vielleicht hat er Ihren Sohn
verletzt, als der dort war. Kratzwunden — an Händen, Armen oder Kopf wären ein
Beweis.“
„Nichts! Keinen Kratzer hat Erich. Du
wirst es sehen.“
17. Achtfinger-Jo und Krawatten-Nante
Der Bankier blieb lange weg.
Totenstille im Haus.
Der Kommissar schien nachzudenken, und
die TKKG-Freunde hielten den Mund, um ihn dabei nicht zu stören.
Irgendwo knackte Gebälk. Dann rauschte
im Obergeschoß Wasser durch ein Rohr. Eine Tür wurde geöffnet. Schritte kamen
die Treppe herab — Schritte von vier Füßen.
Der Bankier brachte seinen Sohn.
Mein Gott! dachte Tim. Der kann einem
ja leid tun.
Offenbar hatte Erich sich selbst
verarztet, nämlich Jod auf die Wunden gepinselt. Sie entzündeten sich trotzdem.
Blut verkrustete. Jod färbte die Haut gelb.
Er hielt den Blick gesenkt — tiefer
ging’s nicht.
Aus dem Gesicht des Bankiers hätte
Goliath mit noch so vielen Tatzenhieben kein Blut gefördert. Es war keins mehr
drin.
Seine herrische Stimme klang jetzt, als
hätte er abgeschlossen mit allem.
„Mein Sohn legt ein Geständnis ab. Er
ist verantwortlich für den Anschlag. Sein Motiv war fehlgeleitete Neugier. Er
wollte sehen, was passiert. Vorhin am Telefon hat er meine Stimme imitiert und
bei Frau Rawitzky den Eindruck erweckt, sie spreche mit mir. Er hat
eingebrochen bei der Frau. Das Feuer wurde nicht absichtlich gelegt. Vermutlich
entstand es, als er sich des Katers mit einer Fackel erwehrte.“
„Erich!“ sagte Glockner. „Du gehörst
ins Krankenhaus. Aber vorher erklärst du noch rasch, wie du die Million
erpressen wolltest.“
Der Junge hob den Kopf.
Sein Gesicht war zum Weggucken.
Taktvollerweise beschäftigte sich Gaby
mit ihren Händen, jedenfalls starrte sie ihn nicht an.
Die Jungs hatten da weniger Hemmungen.
Aber auch bei ihnen war von Schadenfreude keine Spur.
„Ich habe niemanden erpreßt, Herr Glockner.
Ich habe eine Menge auf dem Gewissen — aber mit Erpressung nichts zu tun. Weil
wir gerade dabei sind: Damals, als ein Unbekannter die Stricke über Straßen
spannte — abends — und diese Barbara Schnabel verunglückte... also der“, seine
Stimme schien zu versickern, „war ich. Wahnsinn! Ich weiß. Aber ich weiß nicht,
warum ich das gemacht habe. Irgendwie ist es plötzlich drin in mir. Schaden
will ich niemandem.“
„Barbara Schnabel“, sagte Tim, „hast du
zweimal geschadet. Sie war in dem Triebwagen und wurde wieder verletzt. Dabei
waren die alten Verletzungen noch nicht ausgeheilt. Mann, du hast wirklich ‘nen
Sockenschuß in der Rübe.“
„Ich muß Erich ins Krankenhaus bringen“,
murmelte Jesper.
Glockner stand auf. „Nur noch einen
Moment! Kann ich mal Ihr Telefon benutzen und den Bahnbeamten Schulzl-Müller
anrufen? Erich soll ein paar Worte mit ihm reden. Ich brauche Gewißheit, Erich,
daß du nicht der Erpresser bist.“
„Bin ich nicht“, murmelte der Junge.
Aber er hatte nichts einzuwenden gegen
das Experiment (Versuch), und der Bankier stand ohnehin — seelisch — am
Rande des Abgrunds.
Glockner rief Schulzl-Müller an,
informierte ihn, sprach Erich vor, was er sagen sollte, und der wiederholte die
Sätze, ohne seine Stimme zu verändern.
Der Bahnler erklärte, daß er die Stimme
nicht kenne, der Erpresser ein anderer sein müsse.
„Dann“, sagte Glockner zu ihm, „hat ein
Schlauberger besonders schnell geschaltet und sich Erichs Anschlag zunutze
gemacht. Vermutlich ist er aus dem Kreis der Betroffenen. Als Sie den Anruf
erhielten, Herr Schulzl-Müller, wußten noch nicht allzu viele Bescheid. Ihre
Leute. Bahnarbeiter. Sanitäter und Notarzt. Polizei. Die Medien hatten noch nichts
gebracht. Trotzdem wird die Liste lang. Um alle zu erfassen und zu überprüfen...
Aber darüber reden wir noch.“
Wenig später verließen sie die Villa.
Die Atmosphäre dort war trostloser denn
je.
Wahrscheinlich ist es das, dachte Tim,
weshalb Erich diesen Wahnsinn plötzlich in sich drin hat. Er kann froh sein,
daß er erst 16 ist. Damit fällt er unters Jugendstrafrecht. Als Erwachsener — au
Backe! Da hätte er was zu erwarten.
*
Es war eine häßliche Bude in einem
verwahrlosten Haus irgendwo in der Stadt.
Kolbe, genannt Achtfinger-Jo, und
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