Anschlag auf den Silberpfeil
erzählst du erst jetzt?“ fragte er leise.
„Ist doch unwichtig, dachte ich.“
Hauke tastete nach seinen braunblonden
Locken. Seine Finger bewegten sich vorsichtig, als könnte er an der Frisur was
zerstören.
Sein Raubfischblick löste sich von
Otto, wurde zum Pfeil und traf Tim.
„So, jetzt weiß ich’s also. Was noch?“
Christine besann sich darauf, daß es um
ihre Interessen ging.
„Ich mußte mir eine neue Fahrkarte
kaufen“, sagte sie, „weil Ihr Neffe meine nicht als Fundsache abgegeben,
sondern benutzt hat. Er habe nur wenig Geld, sagte er. Aber es hätte gereicht.
Deshalb kann ich kein Mitleid aufbringen.“
„Stecken Sie sich Ihr Mitleid
sonstwohin“, knurrte Otto.
„Gleich kriegst du eine“, verkündete
Tim.
„Worum geht’s denn jetzt?“ rief Hauke. „Soll
ich Sie mit einem halben Pfund Schnupftabak entschädigen, verehrte Dame?“
„Nicht mit Schnupftabak. Ich möchte,
daß Sie oder Ihr Neffe mir das Geld erstatten. Genau 298 Mark. Darauf habe ich
Anspruch.“
Hauke sah Otto an. Der grinste wie ein
Liter Salatöl.
„Otto“, sagte Hauke. „Je länger ich
über dich nachdenke — umso enttäuschter bin ich. Habe ich dir nicht immer
gepredigt, du sollst fremdes Eigentum achten? Damit habe ich nicht nur Geld und
Gut gemeint, sondern auch Fahrkarten. An dieser Dame hast du unverzeihlich
gehandelt. Daß wir sie entschädigen, ist selbstverständlich. Was kannst du dazu
beisteuern?“
„Nischt“, erwiderte Otto. „Ich bin
blank wie ein Kinderpopo. Als ich vorhin einem Bettler ‘ne Mark schenken
wollte, mußte ich mir die erst vom Bahnhofsvorstand pumpen.“
Die wollen uns wohl auf den Arm nehmen,
dachte Tim — und seine Miene wurde drohend.
Aber Hauke strich mit beiden Händen
über seine Lockenpracht und beugte sich dann über die Kasse.
Drei Hunderter legte er auf die
Wechselgeldschale. Sein Blick glubschte Christine an.
„Zwei Mark bekomme ich zurück. Können
Sie wechseln?“ Christine konnte.
„So, und jetzt raus aus meinem Laden!“
befahl Hauke.
„Dachten Sie“, fragte Tim, „wir würden
noch bleiben und Ihre Gesellschaft genießen? Sie leiden wohl an Größenwahn?
Übrigens — hinterm rechten Ohr löst sich Ihre Perücke auf. Die Glatze schimmert
durch. Guten Tag — allerseits.“
Feindseliges Schweigen begleitete sie
beim Abgang. Christine spürte das nicht. Sie hatte ihr Geld. Dankbar schüttelte
sie Tim die Hand, als wollte sie ihm den Arm ausreißen. Erwehrte ab.
„Hauke war einsichtig. Das hat die Schose
gerettet. Sonst hätten Sie nur mit dem Anwalt drohen können.“
„Trotzdem! Allein hätte ich das nicht
geschafft. Du und ihr“, wandte sie sich an Gaby, Karl und Klößchen, „habt ihn
eingeschüchtert. Schon durch eure Überzahl. Dafür lade ich euch ein. Allerdings
kann ich nicht mitkommen, weil ich zum Frisör muß.“
Sie zückte einen 20-Mark-Schein und
drängte ihn Tim auf. Er spreizte sich lange, aber schließlich nahm er ihn doch.
„Für meine fünf Mark“, sagte Klößchen, „will
ich Zigarren. Natürlich Schokoladezigarren.“
Eingeschüchtert? überlegte Tim.
Niemals! Hauke war nicht eingeschüchtert. Der war eiskalt und hat berechnet.
Was? Dem stand doch im Glotzauge wie Schönschrift: Lieber die paar Märker
blechen als... Ja, als was? Als Ärger riskieren? Oder wollte er sich dem Neffen
Otto als Vorbild vorführen?
„Begleitet ihr mich zum Frisör?“ fragte
Christine.
Gaby lachte. „Am liebsten käme ich mit.
Mein Pony müßte mal wieder gekürzt werden. Aber meistens mache ich das selbst.“
„Mit der Papierschere“, ergänzte
Klößchen.
„Deine Stirnfransen sind sehr hübsch
geschnitten“, stellte Christine fest. „Ich wünschte, ich könnte das.“
Sie begleiteten sie. SALON ANGELO — COIFFEUR:
dort hatte sie sich angemeldet.
Ein Typ stand am Eingang, beobachtete
das Treiben in der Halle und hatte sein limonengelbes Hemd bis zum Magen
aufgeknöpft. Auf der solarium-braunen Brust lag ein Goldkettchen. An dem hing
ein goldenes Püppchen, jedenfalls ein kleines — offensichtlich weibliches — Figürchen.
Fatzke! dachte Tim. Sicherlich duscht
er nur zweimal pro Woche. Aber mit seinem Rasierwasser könnte er einen
Bienenschwarm anlocken.
Der Typ empfing Christine, als
verwechsele er sie mit der englischen Königin. Einen feurigen Blick warf er
Gaby zu. Den Jungs schloß er die Tür vor der Nase. Aber Christine winkte noch
rasch durch die Scheibe.
„Sie ist nett“, sagte Gaby, während
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