Anschlag auf den Silberpfeil
gesehen, als ich... Jedenfalls habe ich’s gesehen.“
Die Frau war zusammengezuckt unter den
mehrstimmigen Hinweisen, die so unvermutet aus dem Wagen drangen.
Glockner sagte: „Wir sollten ins Haus
gehen, Frau Rawitzky. Vernehmungen unter freiem Himmel schätze ich im
allgemeinen nicht. Wenn Sie gestatten, kommen meine jungen Mitarbeiter hinzu.
Sie wissen ohnehin Bescheid.“
Gertruds seelisches Rückgrat war
gebrochen, Widerspruch ausgeschlossen. Wie ein Häufchen Unglück stakte sie
voran.
Im Erdgeschoß, wo das Feuer gewütet
hatte, sah es schlimm aus. Durch die Terrassentür drang Nachtluft herein.
Ein Feuerwehrmann hatte einen
Arbeitshandschuh vergessen. Er lag auf dem Tisch.
Auf einem Sessel im Terrassenzimmer saß
Goliath.
Die Fotografin stieß einen
Freudenschrei aus und nahm ihren Kater auf die Arme.
Er ließ das zu. Aber über ihre Schulter
beobachtete er die Eindringlinge — unverwandt.
Als sie ihn auf den Sessel
zurücksetzte, schien er gnädig gestimmt zu sein.
Seine Wachsamkeit ließ nach. Er begann,
sich die Pfoten zu lecken.
Dabei fuhr er die Krallen aus, daß
einem angst werden konnte.
Staunend betrachtete Tim die
gefährlichen Dolche. Sie waren rotbraun gefärbt — auch das Fell der Tatzen.
Hatte Goliath draußen eine Maus
gefangen? Oder mal wieder gerauft?
„Sie sind doch eine gescheite Person,
Frau Rawitzky“, sagte Glockner. „Ich verstehe Sie nicht. Wie konnten Sie so
eine Dummheit machen.“
Sie begann zu heulen. Keine
Krokodilstränen, sondern echte. Schluchzend beklagte sie ihre finanziellen
Schwierigkeiten, und die Gelegenheit sei ja so günstig gewesen.
„Mich wundert“, fügte sie dann hinzu, „daß
Erich Jesper die Fotos nehmen konnte. Ob Goliath in der Küche eingesperrt war?
Auf einen Einbrecher würde er nämlich losgehen wie ein Tiger. Woher wußte der
Junge eigentlich, daß ich mit seinem Vater telefoniert habe? Ob er gelauscht
hat? Oder hat ihn sein Vater gleich zur Rede gestellt — und dann losgeschickt,
damit er, der Junge, die Sache ausbügelt?“
16. Ein trostloses Haus
Seufzend fügte sich Kommissar Glockner.
Denn Gaby verkündete für sich und im
Namen ihrer Freunde, daß die TKKG-Bande nun auch das Ende der verbrecherischen
Handlung erleben wolle. Ja, daß man einen Anspruch darauf habe und deshalb zu
Jespers mitkomme.
Gertrud Rawitzky durfte zu Hause
bleiben, sollte sich aber morgen im Präsidium einfinden.
Man würde sie zwar auf freiem Fuß
lassen bis zur Gerichtsverhandlung, denn Fluchtgefahr bestand sicherlich nicht
— und sie war auch kein Gewohnheitsverbrecher — , aber mit Strafe mußte sie
rechnen. Hatte sie doch immerhin eine Erpressung versucht und die Polizei
getäuscht, indem sie die Beweise unterschlug.
Die Jespers bewohnten eine dreistöckige
Villa. Der etwas karge Steingarten war der einzige in dieser Gegend, die
geprägt wurde von Geschäfts- und Bürohäusern. Jeder Fußbreit Boden war
betoniert oder asphaltiert. Den letzten Baum hatte man hier vor Jahrzehnten
abgeholzt. Das Jespersche Grün nahm sich aus wie eine Oase in der Wüste.
Oskar mußte im Wagen bleiben, dessen
Fenster selbstverständlich spaltweit geöffnet wurden.
„Diesmal sind wir — nämlich Gaby, Karl
und ich — Zeugen“, meinte Klößchen, während sie zum Haus gingen. „Daß Erich
Jesper vorhin in der Professor-Rutzl-Straße rumlungerte, können wir beschwören.
Mir tut jetzt noch das Schienbein weh.“
„Weshalb?“ fragte Glockner.
„Ich bin doch im Dunkeln gegen sein
Moped gestoßen.“
Tim äugte zu den Fenstern.
Im Erdgeschoß und im zweiten Stock
waren einige erleuchtet. Hier schlief man noch nicht. Glockner klingelte.
Die schwere Eingangstür rundete sich
oben und hatte in der Mitte ein Fensterchen — etwa gesichtsgroß. Ein
schmiedeeisernes Gitter schützte die undurchsichtige Bleiglasscheibe.
Das Fenster wurde geöffnet.
„Ja?“ fragte eine Männerstimme.
Sie klang ungehalten — und sicherlich
selbst dann schroff, wenn sie sich um Freundlichkeit bemühte.
Tim konnte den Kopf nur als Umriß
erkennen, weil der Mann im Gegenlicht stand.
„Herr Jesper? Ich bin Kommissar Glockner.
Ich muß mit Ihnen und Ihrem Sohn Erich reden.“
Er hielt seine Dienstmarke durchs
Gitter.
„Hat das nicht Zeit bis morgen?“ fragte
der Bankier.
„Leider nicht.“
Das Fensterchen wurde geschlossen.
Dafür öffnete sich die Tür.
Robert Jesper war groß und knochig, ein
Mittfünfziger mit wächserner Haut. Er hatte sein Jackett abgelegt,
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