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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Auch mit Frau Fredebeul nicht. Weg, Fredebeul selbst würde ich bei irgendeiner Gelegenheit einmal ohrfeigen. Es ist sinnlos, gegen ihn mit »geistigen Waffen« zu kämpfen. Manchmal bedaure ich, daß es keine Duelle mehr gibt. Die
    Sache zwischen Züpfner und mir, wegen Marie, wäre nur durch ein Duell zu klären gewesen. Es war scheußlich, daß sie mit Ordnungsprinzipien, schriftlichen
    Erklärungen und tagelangen Geheimbesprechungen in einem Hannoverschen Hotel
    geführt worden war. Marie war nach der zweiten Fehlgeburt so herunter, nervös, rannte dauernd in die Kirche und war gereizt, wenn ich an meinen freien Abenden nicht mit ihr ins Theater, ins Konzert oder zu einem Vortrag ging. Wenn ich ihr vorschlug, doch wieder wie früher Mensch-ärgere-dich-nicht zu spielen, Tee dabei zu trinken und auf dem Bauch im Bett zu liegen, wurde sie noch gereizter. Im Grunde fing die Sache damit an, daß sie nur noch aus Freundlichkeit, um mich zu beruhigen oder nett zu mir zu sein, Mensch-ärgere-dich-nicht mit mir spielte. Und sie ging auch nicht mehr mit in die Filme, in die ich so gern gehe: die für Sechsjährige zugelassen sind.
    Ich glaube, es gibt niemanden auf der Welt, der einen Clown versteht, nicht einmal ein Clown versteht den anderen, da ist immer Neid oder Mißgunst im Spiel. Marie war nah daran, mich zu verstehen, ganz verstand sie mich nie. Sie meinte immer, ich müßte als »schöpferischer Mensch« ein »brennendes Interesse« daran haben, soviel Kultur wie möglich aufzunehmen. Ein Irrtum. Ich würde natürlich sofort
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    ein Taxi nehmen, wenn ich abends frei hätte und erführe, daß irgendwo Beckett
    gespielt wird, und ich gehe auch bin und wieder ins Kino, wenn ich genau überlege, sogar oft, und immer nur in Filme, die auch für Sechsjährige zugelassen sind. Marie konnte das nie verstehen, ein großer Teil ihrer katholischen Erziehung bestand eben doch nur aus psychologischen Informationen und einem mystisch verbrämten
    Rationalismus, im Rahmen des »Laßt sie Fußball spielen, damit sie nicht an Mädchen denken«. Dabei dachte ich so gern an Mädchen, später immer nur an Marie. Ich kam mir manchmal schon wie ein Unhold vor. Ich gehe gern in diese Filme für
    Sechsjährige, weil darin von dem Erwachsenenkitsch mit Ehebruch und
    Ehescheidung nichts vorkommt. In den Ehebruchs- und Ehescheidungsfilmen spielt immer irgend jemandes Glück eine so große Rolle. »Mach mich glücklich, Liebling«
    oder »Willst du denn meinem Glück im Wege stehen?« Unter Glück, das länger als eine Sekunde, vielleicht zwei, drei Sekunden dauert, kann ich mir nichts vorstellen.
    Richtige Hurenfilme sehe ich wieder ganz gern, aber es gibt so wenige. Die meisten sind so anspruchsvoll, daß man gar nicht merkt, daß es eigentlich Hurenfilme sind.
    Es gibt noch eine Kategorie von Frauen, die nicht Huren und nicht Ehefrauen sind, die barmherzigen Frauen, aber sie werden in den Filmen vernachlässigt. In den
    Filmen, die für Sechsjährige zugelassen sind, wimmelt es meistens von Huren. Ich habe nie begriffen, was die Ausschüsse, die die Filme einstufen, sich dabei denken, wenn sie solche Filme für Kinder zulassen. Die Frauen in diesen Filmen sind
    entweder von Natur Huren, oder sind es nur im soziologischen Sinn; barmherzig
    sind sie fast nie. Da tanzen in irgendeinem Wild-west-Tingel-tangel Blondinen Cancan, rauhe Cowboys, Goldgräber oder Trapper, die zwei Jahre lang in der Einsamkeit
    hinter Stinktieren her gewesen sind, schauen den hübschen, jungen Blondinen beim Cancantanzen zu, aber wenn diese Cowboys, Goldgräber, Trapper dann hinter den
    Mädchen hergehen und mit auf deren Zimmer wollen, kriegen sie mei-
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    stens die Tür vor der Nase zugeknallt, oder irgendein brutales Schwein boxt sie unbarmherzig nieder. Ich denke mir, daß damit etwas wie Tugendhaftigkeit
    ausgedrückt werden soll. Unbarmherzigkeit, wo Barmherzigkeit das einzig
    Menschliche wäre. Kein Wunder, daß die armen Hunde dann anfangen, sich zu
    prügeln, zu schießen, - es ist wie das Fußballspielen im Internat, nur, da es erwachsene Männer sind, unbarmherziger. Ich verstehe die amerikanische Moral nicht. Ich denke mir, daß dort eine barmherzige Frau als Hexe verbrannt würde, eine Frau, die es nicht für Geld und nicht aus Leidenschaft für den Mann tut, nur aus Barmherzigkeit mit der männlichen Natur.
    Besonders peinlich finde ich Künstlerfilme. Künstlerfilme werden wohl meistens von Leuten gemacht, die van Gogh für ein Bild nicht einmal

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