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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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sie mir als
    Konkubine erlaubt und würde nicht dauernd in die Gewissenszange genommen. Nun, sie wird wiederkommen.«
    »An Ihrer Stelle wäre ich nicht so sicher, Schnier«, sagte Kinkel. »Es ist schlimm, daß Ihnen offenbar das Organ für Metaphysik fehlt.«
    »Mit Marie war alles in Ordnung, solange sie sich Sorgen um meine Seele gemacht hat, aber ihr habt ihr beigebracht, sich Sorgen um ihre eigene Seele zu machen, und jetzt ist es so, daß ich, dem das Organ für Metaphysik fehlt, mir Sorgen um Maries Seele mache. Wenn sie mit Züpfner verheiratet ist, wird sie erst richtig sündig.
    Soviel habe ich von eurer Metaphysik kapiert: es ist Unzucht und Ehebruch, was sie begeht, und Prälat Sommerwild spielt dabei die Rolle des Kupplers.«
    Er brachte es tatsächlich fertig zu lachen, wenn auch nicht sehr dröhnend. »Das klingt alles sehr komisch, wenn man bedenkt, daß Heribert sozusagen die weltliche und Prälat Sommerwild sozusagen die geistliche Eminenz des deutschen
    Katholizismus ist.«
    »Und Sie sind sein Gewissen«, sagte ich wütend, »und wissen genau, daß ich recht habe.«
    Er schnaufte eine Weile da oben am Venusberg unter der minderwertigsten seiner drei Barockmadonnen. »Sie sind auf eine bestürzende Weise jung - und auf eine
    beneidenswerte.«
    »Lassen Sie das, Doktor«, sagte ich, »lassen Sie sich nicht bestürzen und beneiden Sie mich nicht, wenn ich Marie nicht zurückbekomme, bringe ich euren attraktivsten Prälaten um. Ich bringe ihn um«, sagte ich, »ich habe nichts mehr zu verlieren.«
    Er schwieg und steckte wieder seine Zigarre in den Mund.
    »Ich weiß«, sagte ich, »daß jetzt Ihr Gewissen fieberhaft
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    arbeitet. Wenn ich Züpfner umbrächte, das war Ihnen ganz recht: der mag Sie nicht und steht Ihnen zu weit rechts, während Sommerwild für Sie eine gute Stütze in Rom ist, wo Sie - ganz zu Unrecht übrigens nach meiner bescheidenen Meinung — als
    linker Vogel verschrieen sind.«
    »Lassen Sie doch diesen Unsinn, Schnier. Was haben Sie nur?«
    »Katholiken machen mich nervös«, sagte ich, »weil sie unfair sind.«
    »Und Protestanten?« fragte er lachend.
    »Die machen mich krank mit ihrem Gewissensgefummel.«
    »Und Atheisten?« Er lachte noch immer.
    »Die langweilen mich, weil sie immer nur von Gott sprechen.«
    »Und was sind Sie eigentlich?«
    »Ich bin ein Clown«, sagte ich, »im Augenblick besser als mein Ruf. Und es gibt ein katholisches Lebewesen, das ich notwendig brauche: Marie - aber ausgerechnet die habt ihr mir genommen.«
    »Unsinn, Schnier«, sagte er, »schlagen Sie sich doch diese Entführungstheorien aus dem Kopf. Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert.«
    »Eben«, sagte ich, »im dreizehnten wäre ich ein netter Hofnarr gewesen, und nicht einmal die Kardinale hätten sich drum gekümmert, ob ich mit ihr verheiratet
    gewesen wäre oder nicht. Jetzt trommelt jeder katholische Laie auf ihrem armen Gewissen rum, treibt sie in ein unzüchtiges, ehebrecherisches Leben nur wegen eines dummen Fetzens Papier. Ihre Madonnen, Doktor, hätten Ihnen im dreizehnten
    Jahrhundert Exkommunikation und Kirchenbann eingebracht. Sie wissen ganz
    genau, daß sie in Bayern und Tirol aus den Kirchen geklaut werden - ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß Kirchenraub auch heute noch als ziemlich schweres
    Verbrechen gilt.«
    »Hören Sie, Schnier«, sagte er, »wollen Sie etwa persönlich werden? Das
    überrascht mich bei Ihnen.«
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    »Sie mischen sich seit Jahren in meine persönlichsten Dinge ein, und wenn ich eine kleine Nebenbemerkung mache und Sie mit einer Wahrheit konfrontiere, die
    persönlich unangenehm werden könnte, werden Sie wild. Wenn ich wieder zu Geld
    gekommen bin, werde ich einen Privatdetektiv engagieren, der für mich herausfinden muß, woher Ihre Madonnen stammen.«
    Er lachte nicht mehr, hüstelte nur, und ich merkte, daß er noch nicht begriffen hatte, daß es mir ernst war. »Hängen Sie ein, Kinkel«, sagte ich, »legen Sie auf, sonst fange ich noch vom Existenzminimum an. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Gewissen einen
    guten Abend.« Aber er begriff es noch immer nicht, und so war ich es, der zuerst auflegte.

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    Ich wußte sehr gut, daß Kinkel überraschend nett zu mir gewesen war. Ich glaube, er hätte mir sogar Geld gegeben, wenn ich ihn drum gebeten hätte. Sein Gerede von Metaphysik mit der Zigarre im Mund und die plötzliche Gekränktheit, als ich von seinen Madonnen anfing, das war mir doch zu ekelhaft. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.

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