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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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etwas fließen würde. Sie war zu dumm. Der Tonfall, in dem sie anbeißen sagte, hatte mich mißtrauisch gemacht. Es war nicht unmöglich, daß sie diese »Unterstützungen für hilfsbedürftige Kollegen« einfach in ihre Tasche steckte. Mein Vater tat mir leid, ich hätte ihm eine hübsche und intelligente Geliebte gewünscht. Es tat mir noch immer leid, daß ich ihm nicht die Chance gegeben hatte, mir einen Kaffee zu kochen.
    Dieses dumme Luder würde wahrscheinlich lächeln, heimlich den Kopf schütteln wie eine verhinderte Lehrerin, wenn er in ihrer Wohnung in die Küche ging, um Kaffee zu kochen, und dann heuchlerisch strahlen, den Kaffee loben, wie bei einem Hund, der einen Stein apportiert. Ich war wütend, als ich vom Telefon weg ans Fenster ging, es öffnete und auf die Straße blickte. Ich hatte Angst, eines Tages müßte ich auf Sommerwilds Angebot zurückgreifen. Ich nahm plötzlich meine Mark aus der
    Tasche, warf sie auf die Straße und bereute es im gleichen Augenblick, ich blickte ihr nach, sah sie nicht, glaubte aber zu hören, wie sie auf das Dach der vorüberfahrenden Straßenbahn fiel. Ich nahm das Butterbrot vom Tisch, aß es, während ich auf die Straße blickte. Es war fast acht, ich war schon fast zwei Stunden in Bonn, hatte schon mit sechs sogenannten Freunden telefoniert, mit meiner Mutter und meinem Vater gesprochen und besaß nicht eine Mark mehr, sondern eine weniger, als ich bei der Ankunft gehabt hatte. Ich wäre gern runtergegangen, um die Mark wieder von der Straße aufzulesen, aber es ging schon auf halb neun, Leo konnte jeden Augenblick anrufen oder kommen.
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    Marie ging es gut, sie war jetzt in Rom, am Busen ihrer Kirche, und überlegte, was sie zur Audienz beim Papst würde anziehen müssen. Züpfner würde ihr ein Bild von Jaqueline Kennedy besorgen, ihr eine spanische Mantilla und einen Schleier kaufen müssen, denn, genau besehen, war Marie jetzt fast so etwas wie eine »first lady« des deutschen Katholizismus. Ich nahm mir vor, nach Rom zu fahren und auch den Papst um eine Audienz zu bitten. Ein wenig von einem weisen, alten Clown hatte auch er, und schließlich war die Figur des Harlekin in Bergamo entstanden; ich würde mir das von Genneholm, der alles wußte, bestätigen lassen. Ich würde dem Papst erklären, daß meine Ehe mit Marie eigentlich an der standesamtlichen Trauung gescheitert war, und ihn bitten, in mir eine Art Gegentyp zu Heinrich dem Achten zu sehen: der war polygam und gläubig gewesen, ich war monogam und ungläubig. Ich würde ihm
    erzählen, wie eingebildet und gemein »führende« deutsche Katholiken seien, und er solle sich nicht täuschen lassen. Ein paar Nummern würde ich vorführen, hübsche leichte Sachen wie Schulgang und Heimkehr von der Schule, nicht aber meine
    Nummer Kardinal; das würde ihn kränken, weil er ja selbst einmal Kardinal gewesen war - und er war der letzte, dem ich weh tun wollte. Immer wieder erliege ich meiner Phantasie: ich stellte mir meine Audienz beim Papst so genau vor, sah mich da knien und als Ungläubiger um seinen Segen bitten, die Schweizer Gardisten an der Tür und irgendeinen wohlwollend, nur leicht angeekelt lächelnden Monsignore dabei - daß ich fast glaubte, ich wäre schon beim Papst gewesen. Ich würde versucht sein, Leo zu erzählen, ich wäre beim Papst gewesen und hätte eine Audienz gehabt. Ich war in diesen Minuten beim Papst, sah sein Lächeln und hörte seine schöne Bauernstimme, erzählte ihm, wie der Lokalnarr von Bergamo zum Harlekin geworden war. Leo ist in diesem Punkt sehr streng, er nennt mich immer Lügner. Leo wurde immer wütend,
    wenn ich ihn traf und ihn fragte: »Weißt du noch, wie wir das Holz miteinander durchgesägt haben?« Er schreit dann: »Aber
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    wir haben das Holz nicht miteinander durchgesägt.« Er hat auf eine sehr unwichtige, dumme Weise recht. Leo war sechs oder sieben, ich acht oder neun, als er im
    Pferdeschuppen ein Stück Holz fand, den Rest eines Zaunpfahles, er hatte auch eine verrostete Säge im Schuppen gefunden und bat mich, mit ihm gemeinsam den
    Pfahlrest durchzusägen. Ich fragte ihn, warum wir denn ein so dummes Stück Holz durchsägen sollten; er konnte keine Gründe angeben, er wollte einfach nur sägen; ich fand es vollkommen sinnlos, und Leo weinte eine halbe Stunde lang - und viel später, zehn Jahre später erst, als wir im Deutschunterricht bei Pater Wunibald über Lessing sprachen, plötzlich mitten im Unterricht und ohne jeden Zusammenhang fiel

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