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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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spüren. Auch Frau Blothert, bieder, fromm, war immer ein bißchen beleidigt. Manchmal verstehe ich sogar die Unholde, über die soviel in den Zeitungen steht, und wenn ich mir vorstelle, daß es so etwas wie »eheliche Pflicht« gibt, wird mir bange. Es muß ja in diesen Ehen unhold zugehen, wenn eine Frau von Staat und Kirche zu dieser Sache

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    vertraglich verpflichtet ist. Man kann ja Barmherzigkeit nicht vorschreiben. Ich wollte versuchen, mit dem Papst auch darüber zu sprechen. Er wird bestimmt falsch informiert. Ich machte mir noch ein Butterbrot, ging in die Diele und nahm aus meiner Manteltasche die Abendzeitung heraus, die ich in Köln vom Zug aus gekauft hatte.
    Manchmal hilft die Abendzeitung : sie macht mich so leer wie das Fernsehen. Ich blätterte sie durch, überflog die Schlagzeilen, bis ich eine Notiz entdeckte, über die ich lachen mußte. Bundesverdienstkreuz für Dr. Herbert Kalick. Kalick war der Junge gewesen, der mich angezeigt hatte wegen Defätismus und während der Ge-richtsverhandlung auf Härte, unerbittlicher Härte bestanden hatte. Er hatte damals den genialen Einfall gehabt, das Waisenhaus für den Endkampf zu mobilisieren. Ich
    wußte, daß er ein hohes Tier geworden war. In der Abendzeitung stand, er habe das Bundesverdienstkreuz bekommen wegen »seiner Verdienste um die Verbreitung des
    demokratischen Gedankens in der Jugend«.
    Er hatte mich vor zwei Jahren einmal eingeladen, um sich mit mir zu versöhnen.
    Sollte ich ihm etwa verzeihen, daß Georg, der Waisenjunge, beim Üben mit einer Panzerfaust tödlich verunglückt war - oder daß er mich, einen Zehnjährigen, wegen Defätismus angezeigt und auf Härte, unnachgiebiger Härte bestanden hatte? Marie meinte, eine Einladung zur Versöhnung könne man nicht ablehnen, und wir hatten Blumen gekauft und waren hingefahren. Er hatte eine hübsche Villa, fast schon in der Eifel, eine hübsche Frau und das, was die beiden stolz »ein Kinder« nennen. Seine Frau ist auf jene Art hübsch, daß man nicht weiß, ob sie lebendig ist oder nur aufgezogen.
    Ich war die ganze Zeit über, während ich neben ihr saß, versucht, sie bei den Armen oder bei den Schultern zu packen, oder an den Beinen, um festzustellen, ob sie nicht doch eine Puppe war. Alles, was sie zur Konversation beitrug, bestand aus zwei Ausdrücken »Ach, wie hübsch« und »Ach, wie scheußlich«. Ich fand sie erst
    langweilig, war aber dann fasziniert und erzählte ihr allerlei, so wie man Gro-187
    sehen in einen Automaten wirft - nur um herauszubekommen, wie sie reagieren würde.
    Als ich ihr erzählte, meine Großmutter sei gestorben - was gar nicht stimmte, denn meine Großmutter war schon vor zwölf Jahren gestorben - sagte sie: »Oh, wie
    scheußlich«, und ich finde, man kann, wenn jemand stirbt, viel Dummes sagen, aber
    »oh, wie scheußlich« nicht. Dann erzählte ich ihr, daß ein gewisser Humeloh (den es gar nicht gab, den ich rasch erfand, um etwas Positives in den Automaten zu
    schmeißen), den Ehrendoktor bekommen habe, sie sagte: »Oh, wie hübsch«. Als ich ihr dann erzählte, daß mein Bruder Leo konvertiert sei, zögerte sie einen Augenblick
    - und dieses Zögern erschien mir fast wie ein Lebenszeichen; sie sah mich mit ihren sehr großen, leeren Puppenaugen an, um herauszufinden, in welche Kategorie für mich dieses Ereignis gehöre, sagte dann: »Scheußlich, was?«; es war mir immerhin gelungen, ihr eine Ausdrucks-Variation abzuringen. Ich schlug ihr vor, doch die beiden Ohs einfach wegzulassen, nur noch hübsch und scheußlich zu sagen; sie
    kicherte, legte mir noch Spargel nach und sagte dann erst: »Oh, wie hübsch«.
    Schließlich lernten wir an diesem Abend auch noch das »ein Kinder« kennen, einen fünfjährigen Bengel, der so, wie er war, im Werbefernsehen als Kind hätte auftreten können. Dieses Zahnpastagetue, gute Nacht, Pappi, gute Nacht, Mammi, ein Diener vor Marie, einer vor mir. Ich wunderte mich, daß das Werbefernsehen ihn noch nicht entdeckt hat. Später, als wir Kaffee und Kognak am Kamin tranken, sprach Herbert von der großen Zeit, in der wir leben. Er holte dann noch Sekt und wurde
    pathetisch. Er bat mich um Verzeihung, kniete sogar nieder, um mich um eine, wie er es nannte, »säkularisierte Absolution« zu bitten — und ich war drauf und dran, ihn einfach in den Hintern zu treten, nahm aber dann ein Käsemesser vom Tisch und
    schlug ihn feierlich zum Demokraten. Seine Frau rief: »Ach, wie hübsch«, und ich hielt, als Herbert

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