Ansichten eines Clowns
Sie tun?« fragte sie leise.
»Ja«, sagte ich, »Sie könnten herkommen und sich meiner Seele erbarmen, auch
meines Knies, das ziemlich stark geschwollen ist.«
Sie schwieg. Ich hatte erwartet, daß sie sofort Ja sagen würde, mir war unheimlich bei dem Gedanken, daß sie wirklich kommen könnte. Aber sie sagte nur: »Heute
nicht, ich erwarte Besuch.« Sie hätte dazu sagen sollen, wen sie erwartete, wenigstens sagen können: eine Freundin oder einen Freund. Das Wort Besuch machte mich
elend. Ich sagte: »Nun, dann vielleicht morgen, ich muß wahrscheinlich mindestens eine Woche liegen.«
»Kann ich nicht sonst etwas für Sie tun, ich meine etwas, was sich telefonisch erledigen läßt.« Sie sagte das mit einer
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Stimme, die mich hoffen ließ, ihr Besuch könnte doch eine Freundin sein.
»Ja«, sagte ich, »Sie könnten mir die Mazurka in B-Dur Opus 7 von Chopin
vorspielen.«
Sie lachte und sagte: »Sie haben Einfälle.« Beim Klang ihrer Stimme wurde ich
zum erstenmal schwankend in meiner Monogamie. »Ich mag Chopin nicht sehr«, sagte sie, »und spiele ihn schlecht.«
»Ach, Gott«, sagte ich, »das macht doch nichts. Haben Sie die Noten da?«
»Irgendwo werden sie sein«, sagte sie. »Moment bitte.« Sie legte den Hörer auf den Tisch, und ich hörte sie durchs Zimmer gehen. Es dauerte einige Minuten, bis sie zurückkam, und es fiel mir ein, was Marie mir einmal erzählt hatte, daß sogar manche Heilige Freundinnen gehabt hatten. Natürlich nur geistig, aber immerhin: was geistig an der Sache war, hatten diese Frauen ihnen gegeben. Ich hatte nicht einmal das.
Monika nahm den Hörer wieder auf. »Ja«, sagte sie seufzend, »hier sind die
Mazurki.«
»Bitte«, sagte ich, »spielen Sie doch die Mazurka B-Dur Opus 7 Nr. 1.«
»Ich habe jahrelang nicht mehr Chopin gespielt, ich müßte ein bißchen üben.«
»Vielleicht möchten Sie nicht gern, daß Ihr Besuch hört, wenn Sie Chopin
spielen?«
»Oh«, sagte sie lachend, »der soll es ruhig hören.«
»Sommerwild?« fragte ich ganz leise, ich hörte ihren überraschten Ausruf und fuhr fort: »Wenn er's wirklich ist, dann schlagen Sie ihm den Deckel ihres Flügels auf den Kopf.«
»Das hat er nicht verdient«, sagte sie, »er hat Sie sehr gern.«
»Das weiß ich«, sagte ich, »ich glaube es sogar, aber mir wäre lieber, ich hätte den Mut, ihn umzubringen.«
»Ich übe ein bißchen und spiele Ihnen die Mazurka«, sagte sie rasch. »Ich rufe Sie an.«
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»Ja«, sagte ich, aber wir legten beide nicht auf. Ich hörte ihren Atem, ich weiß nicht wie lange, aber ich hörte ihn, dann legte sie auf. Ich hätte den Hörer noch lange in der Hand gehalten, um sie atmen zu hören. Mein Gott, wenigstens der Atem einer Frau.
Obwohl die Bohnen, die ich gegessen hatte, mir noch schwer im Magen lagen und
meine Melancholie steigerten, ging ich in der Küche, öffnete auch die zweite Büchse Bohnen, kippte den Inhalt in den Topf, in dem ich auch die erste Portion gewärmt hatte, und zündete das Gas an. Ich warf das Filterpapier mit dem Kaffeesatz in den Abfalleimer, nahm ein sauberes Filterpapier, tat vier Löffel Kaffee hinein, setzte Wasser auf und versuchte, in der Küche Ordnung zu schaffen. Ich warf den Aufnehmer über die Kaffeepfütze, die leeren Büchsen und die Eierschalen in den Eimer. Ich hasse unaufgeräumte Zimmer, aber ich bin selber unfähig aufzuräumen. Ich ging ins
Wohnzimmer, nahm die schmutzigen Gläser, setzte sie in der Küche in den Ausguß.
Es war nichts Unordentliches mehr in der Wohnung, und doch sah es nicht
aufgeräumt aus. Marie hat so eine geschickte und sehr rasche Art, ein Zimmer
aufgeräumt erscheinen zu lassen, obwohl sie nichts Sichtbares, Kontrollierbares darin anstellt. Es muß an ihren Händen liegen. Der Gedanke an Maries Hände - nur die Vorstellung, daß sie ihre Hände Züpfner auf die Schulter legen könnte - steigerte meine Melancholie zur Verzweiflung. Eine Frau kann mit ihren Händen soviel
ausdrücken oder vortäuschen, daß mir Männerhände immer wie angeleimte
Holzklötze vorkommen. Männerhände sind Händedruckhände, Prügelhände,
natürlich Schießhände und Unterschrifthände. Drücken, prügeln, schießen,
Verrechnungsschecks unterschreiben - das ist alles, was Männerhände können, und natürlich: arbeiten. Frauenhände sind schon fast keine Hände mehr: ob sie Butter aufs Brot oder Haare aus der Stirn streichen. Kein Theologe ist je auf die Idee gekommen, über die Frauenhände im
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