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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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ich zwischendurch
    meinen Nachtisch esse.«
    »Pflaumen?« fragte ich.
    »Nein«, sagte er, er lachte dünn: »Ich bin in Ungnade gefallen und bekomme keine Herrenkost, nur noch Dienerkost; heute als Nachtisch Karamelpudding. Übrigens«, er hatte offenbar schon einen Löffel Pudding im Mund, schluckte, sprach kichernd weiter, »übrigens räche ich mich. Ich telefoniere stundenlang mit einem früheren Konfrater in München, der auch ein Schüler Schelers war. Manchmal rufe ich
    Hamburg an, die Kinoauskunft, oder in Berlin den Wetterdienst, aus Rache. Das fällt ja bei diesem Selbstwählsystem gar nicht auf.« Er aß wieder, kicherte, flüsterte dann:
    »Die
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    Kirche ist ja reich, stinkreich. Sie stinkt wirklich vor Geld - wie der Leichnam eines reichen Mannes. Arme Leichen riechen gut - wußten Sie das ?«
    »Nein«, sagte ich. Ich spürte, wie meine Kopfschmerzen nachließen, und malte um die Nummer des Dings einen roten Kreis.
    »Sie sind ungläubig, nicht wahr? Sagen Sie nicht nein: ich höre an Ihrer Stimme, daß Sie ungläubig sind. Stimmts ?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Das macht nichts, gar nichts«, sagte er, »es gibt da eine Stelle bei Isaias, die von Paulus im Römerbrief sogar zitiert wird. Hören Sie gut zu: Die werden es sehen, denen von ihm noch nichts verkündet ward, und die verstehen, die noch nichts
    vernommen haben.« Er kicherte bösartig. »Haben Sie verstanden?«
    »Ja«, sagte ich matt.
    Er sagte laut: »Guten Abend, Herr Direktor, guten Abend«, und legte auf. Seine Stimme hatte zuletzt auf eine bösartige Weise unterwürfig geklungen.
    Ich ging zum Fenster und blickte auf die Uhr draußen an der Ecke. Es war schon fast halb neun. Ich fand, sie aßen ziemlich ausgiebig. Ich hätte Leo gern gesprochen, aber es ging mir jetzt fast nur noch um das Geld, das er mir leihen würde. Ich wurde mir allmählich über den Ernst meiner Situation klar. Manchmal weiß ich nicht, ob das, was ich handgreiflich realistisch erlebt habe, wahr ist, oder das, was ich wirklich erlebe. Ich werfe die Dinge durcheinander. Ich hätte nicht schwören können, ob ich den Jungen in Osnabrück gesehen hatte, aber ich hätte geschworen, daß ich mit Leo Holz gesägt hatte. Ich hätte auch nicht beschwören können, ob ich zu Edgar Wieneken nach Kalk zu Fuß gegangen war, um Großvaters Scheck über zweiundzwanzig
    Mark in Bargeld zu verwandeln. Daß ich mich der Details so genau erinnere, ist keine Garantie - der grünen Bluse, die die Bäckerin trug, die mir die Brötchen schenkte, oder der Löcher im Strumpf eines jungen Arbeiters, der an mir vorbeigegangen war, als
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    ich auf der Türschwelle saß und auf Edgar wartete. Ich war vollkommen sicher, auf Leos Oberlippe Schweißtropfen gesehen zu haben, als wir das Holz durchsägten. Ich entsann mich auch aller Einzelheiten der Nacht, in der Marie in Köln die erste Fehlgeburt hatte. Heinrich Behlen hatte mir ein paar kleine Auftritte vor
    Jugendlichen für zwanzig Mark den Abend vermittelt. Marie war meistens mit mir gegangen, an diesem Abend aber zu Hause geblieben, weil sie sich schlecht fühlte, und als ich spät mit den neunzehn Mark Reingewinn in der Tasche nach Hause kam, fand ich das Zimmer leer, sah im aufgeschlagenen Bett das blutige Bettuch und fand den Zettel auf der Kommode: »Bin im Krankenhaus. Nichts Schlimmes. Heinrich weiß
    Bescheid.« Ich rannte sofort los, ließ mir von Heinrichs griesgrämiger Haushälterin sagen, in welchem Krankenhaus Marie lag, lief dorthin, aber sie ließen mich nicht rein, ich mußte erst Heinrich im Krankenhaus suchen, ans Telefon rufen lassen, bevor die Nonne an der Pforte mich reinließ. Es war schon halb zwölf nachts, und als ich endlich in Maries Zimmer kam, war schon alles vorbei, sie lag da im Bett, ganz blaß,
    weinend, neben ihr eine Nonne, die den Rosenkranz betete. Die Nonne betete ruhig weiter, während ich Maries Hand hielt und Heinrich ihr mit leiser Stimme zu
    erklären versuchte, was mit der Seele des Wesens geschehen würde, das sie nicht hatte gebären können. Marie schien fest davon überzeugt, daß das Kind - sie nannte es so -
    nie in den Himmel kommen könnte, weil es nicht getauft war. Sie sagte immer, es würde in der Vorhölle bleiben, und ich erfuhr in dieser Nacht zum erstenmal, welche scheußlichen Sachen die Katholiken im Religionsunterricht lernen. Heinrich war vollkommen hilflos Maries Ängsten gegenüber, und gerade, daß er so hilflos war, empfand ich als tröstlich. Er sprach von der

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