Ansichten Eines Clowns
nicht«, sagte ich, »ich bin durchaus fähig, etwas zu respektieren, was ich nicht verstehe. Ich halte es nur für einen verhängnisvollen Irrtum, einem jungen Mädchen, das nicht ins Kloster gehen will, die Jungfrau Maria als Vorbild anzubieten. Ich habe sogar einmal einen Vortrag darüber gehalten.«
»So?« sagte er, »wo denn?«
»Hier in Bonn«, sagte ich, »vor jungen Mädchen. Vor Maries Gruppe. Ich bin von Köln rübergekommen an einem Heimabend, habe den Mädchen ein paar Faxen vorgemacht und mich mit ihnen über die Jungfrau Maria unterhalten. Fragen Sie Monika Silvs, Prälat. Ich konnte mit den Mädchen natürlich nicht über das reden, was Sie das fleischliche Verlangen nennen! Hören Sie noch?«
»Ich höre«, sagte er, »und staune. Sie werden recht drastisch, Schnier.«
131
»Verflucht noch mal, Prälat«, sagte ich, »der Vorgang, der zur Zeugung eines Kindes führt, ist eine ziemlich drastische Sache - wir können uns auch, wenn es Ihnen lieber ist, über den Klapperstorch unterhalten. Alles, was über diese drastische Sache gesagt, gepredigt und gelehrt wird, ist Heuchelei. Ihr haltet im Grunde eures Herzens diese Sache für eine aus Notwehr gegen die Natur in der Ehe legitimierte Schweinerei - oder macht euch Illusionen und trennt das Körperliche von dem, was außerdem noch zu der Sache gehört - aber gerade das, was außerdem dazu gehört, ist das Komplizierte. Nicht einmal die Ehefrau, die ihren Eheherrn nur noch erduldet, ist nur Körper - und nicht der dreckigste Trunkenbold, der zu einer Dirne geht, ist nur Körper, sowenig wie die Dirne. Ihr behandelt diese Sache wie eine Sylvesterrakete - und sie ist Dynamit.«
»Schnier«, sagte er matt, »ich bin erstaunt, wieviel Sie über die Sache nachgedacht haben.«
»Erstaunt«, schrie ich, »Sie sollten erstaunt sein über die gedankenlosen Hunde, die ihre Frauen einfach als rechtmäßigen Besitz betrachten. Fragen Sie Monika Silvs, was ich den Mädchen damals darüber gesagt habe. Seitdem ich weiß, daß ich männlichen Geschlechts bin, habe ich fast über nichts so sehr nachgedacht - und das erstaunt Sie?«
»Ihnen fehlt jede, aber auch die geringste Vorstellung von Recht und Gesetz. Diese Dinge - wie kompliziert sie auch sein mögen - müssen doch geregelt werden.«
»Ja«, sagte ich, »von euren Regeln habe ich ein bißchen mitbekommen. Ihr schiebt die Natur auf ein Gleis, das ihr Ehebruch nennt - wenn die Natur in die Ehe einbricht, bekommt ihr es mit der Angst zu tun. Gebeichtet, verziehen, gesündigt - und so weiter. Alles gesetzlich geregelt.«
Er lachte. Sein Lachen klang gemein. »Schnier«, sagte er, »ich merke schon, was mit
Ihnen los ist. Offenbar sind Sie so monogam wie ein Esel.«
monogam, obwohl sie fromm aussehen. Bei Eseln herrscht vollkommene Promiskuität. Raben sind monogam, Stichlinge, Dohlen und manchmal Nashörner.«
»Marie offenbar nicht«, sagte er. Er mußte wohl gemerkt haben, wie mich dieser kleine Satz traf, denn er fuhr leise fort: »Tut mir leid, Schnier, ich hätte es Ihnen gern erspart, glauben Sie mir das?«
Ich schwieg. Ich spuckte den brennenden Zigarettenstummel auf den Teppich, sah, wie die Glut sich verteilte, kleine, schwarze Löcher brannte. »Schnier«, rief er flehend,
»glauben Sie mir wenigstens, daß ichs Ihnen nicht gern sage.«
»Ist es nicht gleichgültig«, sagte ich, »was ich Ihnen glaube? Aber bitte: ich glaubs Ihnen.«
»Sie sprachen eben soviel von Natur«, sagte er, »Sie hätten Ihrer Natur folgen, hinter Marie herreisen und um sie kämpfen sollen.«
»Kämpfen«, sagte ich, »wo steht das Wort in euren verdammten Ehegesetzen.«
»Es war keine Ehe, was Sie mit Fräulein Derkum führten.«
»Gut«, sagte ich, »meinetwegen. Keine Ehe. Ich habe fast jeden Tag mit ihr zu telefonieren versucht und ihr jeden Tag geschrieben.«
»Ich weiß«, sagte er, »ich weiß. Jetzt ist es zu spät.«
»Jetzt bleibt wohl nur der offene Ehebruch«, sagte ich.
»Sie sind dessen unfähig«, sagte er, »ich kenne Sie besser als Sie glauben, und Sie mögen schimpfen und mir drohen, soviel Sie wollen, ich sags Ihnen, das Schreckliche an Ihnen ist, daß Sie ein unschuldiger, fast möchte ich sagen, reiner Mensch sind. Kann ich Ihnen helfen ... ich meine ...«
Er schwieg. »Sie meinen mit Geld«, fragte ich.
»Auch das«, sagte er, »aber ich meinte beruflich.«
»Ich komme vielleicht drauf zurück«, sagte ich, »auf beides, das Geld und das Berufliche. Wo ist sie denn?«
auch
Weitere Kostenlose Bücher