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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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Kin- derball in Steingarten, heulende Sirenen verkünden den nicht erklärten Krieg. Oh, hätten wir ansteigenden Garten gewählt.

    Das Klingeln des Telefons schreckte mich auf. Ich nahm den Hörer ab, wurde rot, ich hatte Monika Silvs vergessen. Sie sagte: »Hallo, Hans ?«Ich sagte: »Ja«, wußte noch nicht, weswegen sie anrief. Erst als sie sagte: »Sie werden enttäuscht sein«, fiel mir die Mazurka wieder ein. Ich konnte jetzt nicht mehr zurück, konnte nicht sagen
    »ich verzichte«, wir mußten durch diese entsetzliche Mazurka hindurch. Ich hörte noch, wie Monika den Hörer auf den Flügel legte, zu spielen anfing, sie spielte ausgezeichnet, der Klang war hervorragend, aber während sie spielte, fing ich an, vor Elend zu weinen. Ich hätte nicht versuchen dürfen, diesen Augenblick zu
    wiederholen: als ich von Marie nach Hause kam und Leo im Musikzimmer die Mazurka spielte. Man kann Augenblicke nicht wiederholen und nicht mitteilen. Der Herbstabend, bei uns im Park, als Edgar Wieneken die 100 Meter in 10,1 lief. Ich habe ihn eigenhändig gestoppt, eigenhändig für ihn die Strecke abgemessen, und er lief sie an diesem Abend in 10,1. Er war in Hochform, Hochstimmung -aber natürlich glaubte niemand es uns. Es war unser Fehler, daß wir überhaupt darüber sprachen und dem Augenblick dadurch Dauer verleihen wollten. Wir hätten glücklich sein sollen zu wissen, daß er wirklich 10,1 gelaufen war. Später lief er natürlich immer wieder seine 10,9 und 11,0, und niemand glaubte uns, sie lachten uns aus. Über solche Augenblicke reden ist schon falsch, sie wiederholen zu wollen, Selbstmord. Es war eine Art Selbst- mord, den ich beging, als ich jetzt Monika am Telefon zuhörte, wie sie Mazurka spielte. Es gibt rituelle Augenblicke, die die Wiederholung in sich schließen: wie Frau Wieneken das Brot schnitt - aber ich hatte auch diesen Augenblick mit Marie wiederholen wollen, indem ich sie einmal bat, doch das Brot so zu schneiden, wie Frau Wieneken es getan hatte. Die Küche einer Arbeiterwohnung ist kein Hotelzimmer, Marie war nicht Frau Wieneken - das Messer rutschte ihr aus, sie schnitt sich in den linken Oberarm, und dieses Erlebnis machte uns für drei Wochen krank. So teuflisch kann Sentimentalität ausgehen. Man soll Augenblicke lassen, nie wie- derholen.
    Ich konnte vor Elend nicht einmal mehr weinen, als Monika mit der Mazurka zu Ende war. Sie muß es gespürt haben. Als sie ans Telefon kam, sagte sie nur leise: »Na, sehen Sie.« Ich sagte: »Es war mein Fehler - nicht Ihrer - verzeihen Sie mir.«
    Ich fühlte mich, als läge ich besoffen und stinkend in der Gosse, mit Erbrochenem bedeckt, den Mund voll widerlicher Flüche, und als hätte ich jemand bestellt, mich zu fotografieren, und Monika das Foto geschickt. »Darf ich Sie noch einmal anrufen?«
    fragte ich leise. »In ein paar Tagen viel-
    leicht. Ich habe nur eine Erklärung für meine Scheußlichkeit, mir ist so elend, daß ich's nicht beschreiben kann.« Ich hörte nichts, nur ihren Atem, für ein paar Augenblicke, dann sagte sie: »Ich fahre weg, für vierzehn Tage.«
    »Wohin?« fragte ich.

    »In Exerzitien«, sagte sie, »und ein bißchen malen.«

    »Wann kommen Sie her«, fragte ich, »und machen mir ein Omelette mit Pilzen und einen von Ihren hübschen Salaten?«
    »Ich kann nicht kommen«, sagte sie, »jetzt nicht.«

    »Später?« fragte ich.

    »Ich komme«, sagte sie; ich hörte noch, daß sie weinte, dann legte sie auf.
    20

    Ich dachte, ich müßte ein Bad nehmen, so schmutzig fühlte ich mich, und ich dachte, ich müßte stinken, wie Lazarus gestunken hatte — aber ich war vollkommen sauber und roch nicht. Ich kroch in. die Küche, drehte das Gas unter den Bohnen ab, unter dem Wasser, ging wieder ins Wohnzimmer, setzte die Kognakflasche an den Mund: es half nichts. Nicht einmal das Klingeln des Telefons weckte mich aus meiner Dumpfheit. Ich nahm auf, sagte: »Ja?« und Sabine Emonds sagte: »Hans, was machst du für Sachen?« Ich schwieg, und sie sagte: »Schickst Telegramme. Das wirkt so dramatisch. Ist es denn so schlimm?«
    »Schlimm genug«, sagte ich matt.

    »Ich war mit den Kindern spazieren«, sagte sie, »und Karl ist für eine Woche weg, mit seiner Klasse in einem Landschulheim - und ich mußte erst jemand zu den Kindern holen, bevor ich anrufen konnte.« Ihre Stimme klang gehetzt, auch ein bißchen gereizt, wie sie immer klingt. Ich brachte es nicht über mich, sie um Geld zu bitten. Seitdem er verheiratet ist, rechnet

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