Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
Vom Netzwerk:
menschenwürdiges Leben mehr führen, man hatte aber mangels Arbeitsgenehmigung auch keine Alternative auf dem Arbeitsmarkt.
    Als die jüngste Wirtschaftskrise ausbrach, fielen in London die Kokainpreise sogar noch tiefer. In der Zeitung Telegraph stand, dass in den Pubs der Londoner City eine sogenannte line Kokain bereits für zwei Pfund zu haben sei. Ein großes Bier kostete in denselben Pubs nur zwei Pfund fünfundsiebzig.
    Das heißt, wenn der Staat die Zigaretten und den Alkohol verbietet, werden an allen Straßenecken für sechzig oder achtzig Cent Zigarettenpäckchen verkauft, ein passabler Chardonnay kostet dann voraussichtlich noch einen Euro fünfzig. In den ehemaligen Zigarettenlädchen verkaufen sie dann Kokain und Haschisch, die wegen der Kokain- und Haschischsteuer so teuer geworden sind, dass es sich kaum jemand leisten kann. Das Rauschgiftproblem ist gelöst. Geraucht wird nur noch im Verborgenen – nun, das ist auch heute schon so. Nutzen und Schaden für die Volksgesundheit halten sich ungefähr die Waage.
    Der große Gewinner bei dieser Reform wäre ich. Aber viel faszinierender finde ich den Gedanken, dass sich am Beispiel des Drogenmarktes die Auswirkungen staatlicher Verbote und die Auswirkungen staatlicher Regulierung auf das Preissystem und auf die Versorgungslage einer Gesellschaft wissenschaftlich-empirisch beweisen lassen.
    Als Nächstes plädiere ich dafür, die Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs unter Strafe zu stellen.

E-Mails
    Eine E-Mail traf ein, von einem anderen Autor. Er ist berühmt. Sein Name sei Gantenbein.
    Gantenbein also schrieb: »Ich habe Ihre Kolumne gelesen, lieber Kollege. Großartig. Meine Verehrung.«
    Zufällig schätze ich Gantenbeins Texte, ein Gantenbein’sches Lob lässt mich keineswegs kalt. Er ist viel sensibler und genauer als ich. Ich schrieb zurück: »Verehrter Herr Gantenbein, Sie sind seit Langem einer meiner Lieblingsautoren, deshalb besonders herzlichen Dank.«
    Vielleicht war das ein wenig kurz, oder lapidar. Ich mache nicht gern unnötig viele Worte. Ich schreibe nicht Barock, ich schreibe Bauhaus. Gantenbein, mit seiner Sensibilität, würde es schon richtig auffassen.
    Am nächsten Tag kam eine Antwort. Ich hatte nicht mit einer Antwort gerechnet. »Lieber M., es freut mich ungemein, dass Sie mein Werk ein wenig mögen. Das bedeutet mir viel. Ich bin überrascht und beglückt.« Und so weiter. Gantenbeins E-Mail hatte zwölf Zeilen. Sie klang warm, herzlich, uneitel, es war ein ausführlicher, freundlicher Dankesbrief. Ich fühlte mich beschämt, weil ich ihn auf sein Lob hin mit einem billigen Satz von eineinhalb Zeilen abgespeist hatte. Er dagegen hatte sich auf mein Lob hin richtig Mühe gegeben. Er hatte in seine Antwort immer wieder Lorbeerkränze für mich eingeflochten, Formulierungen wie »gerade Sie« oder »verehrter Meister«.
    Solch eine Botschaft konnte ich nicht einfach im Raum stehen lassen. Schweigen wäre, in dieser Situation, passiv-aggressiv gewesen. Aber was, um Himmels willen, sollte ich ihm sagen? Ich hatte ihm doch schon alles gesagt, was ich sagen konnte. Ich entschied mich für folgende Lösung: »Lieber Herr Gantenbein, Ihre ausführliche Antwort hat mich beschämt, zumal ich selber Sie mit einem Satz von eineinhalb Zeilen abgespeist habe. Sie dagegen haben sich richtig Mühe gegeben, Sie sind eben einfach der Größte. Nochmals vielen Dank.«
    Am folgenden Tag sandte Gantenbein eine Mail, in der er mich bat, mich keinesfalls beschämt zu fühlen, dies habe er nicht beabsichtigt. Er entschuldige sich, gerade mich wolle er nicht verletzen. Unter der Oberfläche der Ironie habe er in meiner jüngsten Nachricht durchaus eine Prise echter Verletztheit gespürt. Die Mail hatte fünfzehn Zeilen.
    Ich antwortete ihm, dass ich mich für sein Mitgefühl bedanke, er solle sich keine Sorgen machen, echt nicht. Ich schaffte es, vierzehn süßlich-höfliche Zeilen aus mir herauszupressen. An den vierzehn Zeilen arbeitete ich eine volle Stunde, obwohl mein Terminkalender im Begriff stand, zu platzen wie eine übervolle Sextanerblase. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich, den Autor Gantenbein betreffend, in mir ein leicht negatives Gefühl gespürt.
    Am folgenden Tag schrieb Gantenbein, er sei froh, dass diese Sache bereinigt sei, er wenigstens sehe sie als bereinigt an, ich solle beruhigt sein, er trage mir ebenfalls nichts nach, ich sei sicher sehr beschäftigt und habe Wichtigeres zu tun, als jemandem wie ihm, einem Fan,

Weitere Kostenlose Bücher