Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
auf seine geschwätzigen Mails zu antworten. Wer sei er schon? Der Text hatte siebzehn Zeilen.
Ich dachte: »Gibt es hier irgendwo eine versteckte Kamera?« Dann las ich den Schrieb noch einmal, ich fand, er klang passiv-aggressiv. Ich schrieb: »Lieber Herr Gantenbein, es war, solange es dauerte, eine wunderschöne Beziehung, indes, wir haben uns auseinandergelebt. Uns bleibt die Erinnerung.«
Drei Stunden später fand ich in der Mailbox seine Antwort, die, wie ich mit einem kurzen Blick feststellte, etwa fünfzig Zeilen lang war. Ich klickte »Löschen« an. Er hat gewonnen.
Über Experten
Neulich saß ich bei einem Abendessen einer Autorin gegenüber. Sie hat einen Bestseller verfasst. Sie sagte, dass sie ständig von Fernseh- und Radiosendern angerufen wird, um sich als Expertin zu allen möglichen Fragen zu äußern. Man bekommt kein Geld dafür. Autoren, die als Experten auftreten, sind wie das Internet. Man will es haben, aber niemand möchte für Inhalte bezahlen.
Mir geht es ebenso. Ich war schon Experte für die deutsche Wiedervereinigung, für Berlin, für Ethik im Journalismus, für Frauen, wie man mit ihnen umgeht, für moderne Architektur, für das deutsch-jüdische Verhältnis, für Humortheorie, für die nachlassende religiöse Bindung in der gehobenen deutschen Mittelschicht, für die SPD , für Erziehung und für deutsche Gegenwartsliteratur. Ich kriege gar nicht mehr alles zusammen.
Von den meisten dieser Themen verstehe ich nicht mehr als du oder ich, am wenigsten verstehe ich wahrscheinlich von den Frauen. Ich muss, wie jeder Autor, regelmäßig Texte schreiben, dann mache ich mir halt Gedanken und bin froh, wenn es wieder vorbei ist. Die Welt funktioniert nun einmal auf diese Weise. Niemand ist eine Insel.
Zweimal die Woche klingelt das Telefon, eine Frau von Hitradio Superprima ist in der Leitung und will mich als Experten haben. Ich schaue mir dann an, was die anderen in der Regel zu diesem Thema sagen, und sage das Gegenteil. Ich erkläre, dass die Argumente der anderen Experten zu kurz greifen, ihre Sichtweise sei zu eurozentristisch, die machen es sich mit ihrem wohlfeilen Eurozentrismus alle zu einfach. Das ist frisch. Man will doch eine interessante Sendung haben im Radio …
In England hat sich ein Typ beim Fernsehen beworben, um einen Job als Mechaniker. Er heißt George und ist schwarz. Er saß im Foyer des Senders und hörte eine Lautsprecherstimme, George, Studio drei, bitte. In Wirklichkeit erwarteten sie in Studio drei einen Professor, der sich zur Wirtschaftskrise äußern sollte, dieser Professor hieß zufällig ebenfalls George und war zufällig ebenfalls schwarz.
George wunderte sich, weil er vor einem Bewerbungsgespräch geschminkt wurde. Dann fragte eine Blondine ihn nach Hedgefonds, dem Dollarkurs und nach dem tendenziellen Fall der Profitrate. George dachte, wieso das jetzt, ich soll doch bloß die Heizung reparieren. Aber er gab sein Bestes. Der Kapitalismus besitze gute, aber auch schlechte Seiten. Dollars könne man nie genug haben. Hedgefonds, na ja, wer’s mag.
Der echte George, der zu spät gekommen war, saß im Foyer. Er sah, zu seinem Entsetzen, auf einem Monitor einen fremden Mann, unter dessen Gesicht sein Name eingeblendet war. Die Fernsehleute waren begeistert. Seitdem ist der falsche George in England eine Art Universalexperte, sie nehmen ihn zu allen Themen. Er sagt vernünftige Sachen und ist von den echten Experten nicht zu unterscheiden, es gibt nämlich überhaupt keine echten Experten.
Über Fahrtenbücher
Mein Steuerberater sagt, ich soll Fahrtenbuch führen. Sonst muss ich für das, was ich mit dem Auto tue, hohe Steuern bezahlen. Ich soll dieses Buch kaufen, und ich soll jedes Mal, wenn ich Auto fahre, das Datum, den Kilometerstand, den Zweck meines Tuns und alles mögliche andere, das ich schon wieder vergessen habe, in das Buch schreiben, sofort, nicht etwa irgendwann.
Von dem, was ich verdiene, zahle ich Steuern. Mit dem Geld, das übrig bleibt, kaufe ich Dinge, zum Beispiel ein Auto. Beim Kaufen wird erneut eine Steuer fällig. Das heißt, bevor ich ins Auto steige, ist mein Geld schon zweimal einer steuerlichen Verminderung unterzogen worden, das Benzin wird auch versteuert, die Reifen, der Verbandskasten und der ganze andere Scheiß, entschuldigen Sie, ich rege mich auf, aber, wenn ich endlich fahre, wenn ich endlich mit dem Rest, der mir bleibt, eine kleine Runde um die Häuser drehen will, wird das auch noch versteuert?
Ich will
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