Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
viel Geld verdient haben. Diese Menschen haben sich jahrelang Tag für Tag intensiv mit Aktien befasst. Wer jahrelang, Tag für Tag, intensiv etwas anderes tut, kann auch damit Geld verdienen. Er riskiert aber nicht, Geld zu verlieren.
Seit Jahrzehnten steht in allen Zeitungen der verfluchte Satz: »Deutsche, kauft Aktien.« Einmal, ein einziges Mal sollte in einer deutschen Zeitung das Gegenteil stehen, und zwar am heutigen Tag. Deutsche! Kauft Hunde.
Über Formulierungen wie »Gerade wir Deutsche«
Exkanzler Schröder hat ein großes Interview gegeben. Es ging hauptsächlich um Russland. Schröder arbeitet ja jetzt für den russischen Gasprom-Konzern. Nicht, dass ich ein Russlandexperte wäre oder mich zur russischen Innenpolitik äußern wollte. Journalisten, die sich in die russische Politik einmischen, leben oft nicht sehr lange. Ich bin nur über folgenden Schrödersatz gestolpert, mit dem der Exkanzler jegliche Kritik an Russland zurückweist: »Wir sollten vorsichtig sein mit dem erhobenen Zeigefinger. So lange ist es noch nicht her, dass wir Demokratie lernen mussten.«
Offenbar will Schröder damit sagen, dass Deutsche sich nicht über undemokratische Verhältnisse in anderen Staaten kritisch äußern sollten, vor allem wohl in Russland, und zwar deshalb, weil Deutschland lange eine Diktatur war.
Es handelt sich dabei um ein auch aus zahlreichen anderen Zusammenhängen bekanntes, nicht sehr erfreuliches Argumentationsmuster. Jemand instrumentalisiert die deutsche Geschichte für seine privaten, politischen oder geschäftlichen Zwecke. Die Opfer des Nazi- und des DDR -Regimes sind offenbar auch ein bisschen für Herrn Schröder und seinen Gasprom-Job gestorben.
Außerdem enthält dieses Argument die Idee, dass Schuld und Verbrechen vererbbar seien. Die nach dem Krieg geborenen Deutschen seien immer noch irgendwie Nazimittäter und Antidemokraten, weil viele ihrer Vorfahren Nazis gewesen sind. Diese Idee halte ich für absurd. Nur Rassisten nehmen Völker in Kollektivschuld. Schuld ist etwas Individuelles. Natürlich gibt es so etwas wie ein, in diesem Falle finsteres, nationales Erbe, eine finanzielle und moralische Verantwortung, die man für die Hinterlassenschaft seiner Vorfahren übernehmen muss. Daraus folgt aber nichts, rein gar nichts für das konkrete Handeln in heutigen politischen Situationen. Man muss nicht der Urenkel eines NSDAP -Mitgliedes oder die Tochter eines Stasimannes sein, um sich gegen politischen Mord auszusprechen oder für die Wahrung der Menschenrechte oder gegen »ethnische Säuberungen«. Umgekehrt gilt der Satz genauso: Es ist der Enkelin eines Nazis keineswegs verboten, für Menschenrechte zu demonstrieren.
Sätzen, die mit der Formulierung »Gerade wir Deutschen« beginnen, misstraue ich zutiefst. Richtig ist richtig, falsch ist falsch, Mord ist Mord, da gibt es keine Sonderklauseln für Deutsche. Dass skrupellose Geschäftemacherei und politische Morde abzulehnen sind, sollte unstrittig sein, da hebt man vielleicht mindestens den Zeigefinger, unabhängig davon, ob man von einem vietnamesischen Reisbauern, von Ludwig dem Frommen oder direkt von Quasimodo abstammt. Was ich übrigens immer an der SPD gut fand, war: ihr Eintreten für die Menschenrechte.
Über Freiheit
Wenn ich den Fernseher anschalte, sagen sie oft: »Gleichheit darf nicht in Gleichmacherei ausarten.« Gleichheit ist offenbar umstritten. Aber für die Freiheit sind, soweit ich es überblicken kann, im Fernsehen alle. Niemand sagt: »Freiheit darf nicht in Freimacherei ausarten.«
Ich bin kein besonders guter Autofahrer, das darf ruhig jeder wissen. Während des Autofahrens mache ich Fehler. Ich vergesse zu blinken. Ich ordne mich in der falschen Spur ein. Es wird grün – ich fahre nicht los. Sehr oft lässt dann ein anderer Autofahrer sein Fenster herunter, und er ruft, zum Beispiel: »Du blöde Sau. Du dummes Arschloch.« Junge Leute rufen gerne: »Fick dich ins Knie.« Es mit dem Knie zu tun ist offenbar ein Jugendphänomen. Ich bitte um Entschuldigung wegen dieser Ausdrücke, ich muss doch aber die Verhältnisse in Deutschland beim Namen nennen dürfen. Man muss auch die hässlichen Dinge beim Namen nennen. Wascht mein Gehirn mit Seife aus.
Auch in anderen Lebensbereichen mache ich Fehler. Zum Beispiel drängle ich mich beim Bäcker vor, oft aus Versehen. Manchmal auch absichtlich, weil ich es eilig habe und mir die moralischen Maßstäbe verrutscht sind. Es ist dies kein Ruhmesblatt meiner
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