Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
besprochen, nicht nach den Missbrauchsfällen. Keine aktuelle Politik, nichts übers Privatleben, nichts über Ihr Verhältnis zu Ihrem Sohn. Die Antworten bekommen Sie selbstverständlich zur Autorisierung. Einverstanden so weit?
Interviewpartner: (schweigt)
Ich interpretiere das jetzt mal als Einverständnis. Sie tragen Ihr Herz halt nicht auf der Zunge, das ist ja bekannt. Also. Seit einigen Wochen wissen wir, dass es neben Homo sapiens und dem Neandertaler noch mindestens eine weitere Menschenrasse gegeben hat, wahrscheinlich mehrere. Vor dreißigtausend Jahren ist es auf der Welt ähnlich zugegangen wie in den Star-Wars- Filmen. Verschiedene Rassen intelligenter Geschöpfe kämpfen um die Herrschaft, am Ende gewinnen wir. Frage: Warum gerade wir? Weil wir die Aggressivsten waren, die Klügsten, die Anpassungsfähigsten? Weil wir gut reden konnten? Was war unsere Rettung?
Interviewpartner: (schweigt)
Denken Sie ruhig nach. Sie schweigen lange, aber dann sitzt jedes Wort. Das weiß man, das ist auch okay. Das fragt man sich ja auch als Individuum immer: Warum gerade ich? Warum habe ausgerechnet ich Krebs, warum stürze ausgerechnet ich beim Fensterputzen aus dem fünften Stock und überlebe?
Interviewpartner: (schweigt)
Sie gehen ja ab wie Schmidts Katze. Aber kein Problem. Dann rede halt ich. Dass der Zufall über unser Leben entscheidet, wollen viele nicht akzeptieren. Auf der einen Seite deshalb die Suche nach dem höheren Wesen, das uns genauso wichtig nimmt wie wir uns selber, auf der anderen Seite die Politik, die den ungerechten Zufall durch eine irgendwie vernunftgeleitete Steuerung des Lebens ersetzen möchte. Drittens die Psychologen, die einem erklären, dass Glück im Kern darin besteht, sich mit dem eigenen Leben abzufinden. Verstehen Sie? Politik, Religion und Psychologie widersprechen sich, die können nicht alle drei recht haben.
Interviewpartner: (nickt)
Gut. Wenn aber der Zufall das Prinzip ist, nach dem alles sich richtet, dann müsste man wohl den Zufall anbeten. Aber der Zufall ist taub, fürchte ich. Dumm und taub. Frage: Besteht der Kern des menschlichen Unglücks womöglich darin, dass man in Gestalt des Zufalls einen Chef hat, der deutlich weniger intelligent ist als man selber und der nie zuhört?
Interviewpartner: (schweigt)
Diese Frage mögen Sie nicht. Das spüre ich. Es gibt verschiedene Arten des Schweigens, verständnisvolles Schweigen des Therapeuten, ratloses Schweigen in einer Prüfung, befangenes Schweigen. Ihr Schweigen zum Beispiel empfinde ich gerade als aggressiv. Haben Sie übrigens mal eine Therapie gemacht? Das sollten Sie. Sie verstehen sich dann selbst besser.
Interviewpartner: (steht auf)
Aha, der Herr ist beleidigt. Früher sind Sie gesprächiger gewesen. Auch entschlossener. Bei Moses haben Sie sich sogar auf die Zehn Gebote festgelegt. Ich bin nicht Moses, das ist mir schon klar. (Lacht verlegen) Die Welt ist in den letzten Jahrtausenden ja auch ein bisschen komplizierter geworden, nicht wahr? Urheberrecht, Gesundheitsreform, Staatsverschuldung … Da blicken Sie nicht durch. Das ist jetzt nicht kritisch gemeint! Jedenfalls verstehe ich gut, dass Sie sich in dieser komplizierten Welt nicht auf eine konkrete Aussage festlegen wollen. Angela Merkel macht es genauso.
Interviewpartner: (geht weg)
Wo soll ich denn die Antworten zur Autorisierung hinschicken? Krieg ich Ihre Handynummer? Nichts für ungut. Spaß muss sein.
Über größere Anschaffungen
Frauen kriegen, wie ich gelesen habe, nach der Geburt eines Kindes häufig die postnatale Depression. Sie denken: »Da ist jetzt dieses Kind – und wie weiter? Wozu das alles?« Verbreitet ist offenbar auch das Phänomen der postkoitalen Depression. Hinterher ist man ganz traurig, ein animal triste, man sagt sich: »Na gut. Aber wo ist bei alldem der Sinn?«
Mir persönlich ist noch ein anderes depressives Phänomen bekannt. Wenn ich etwas Größeres eingekauft habe, bekomme ich die Post-Einkaufs-Depression.
Der letzte größere Einkauf ist ein Auto gewesen. Ich brauchte das Auto. Ohne Auto ist es schwierig, einem Beruf in der Medienbranche nachzugehen. Ach Quatsch! Man könnte auch ohne Auto in der Medienbranche arbeiten. Ich wollte einfach ein Auto haben, so war das nämlich wirklich.
Trotzdem war ich nach dem Autokauf übellaunig. Ich hatte das Lachen verlernt.
Ich habe mit düsterem Gesicht im neuen Auto gesessen. Ich dachte, dass ich viel Geld ausgegeben und eine Entscheidung getroffen habe. Mein
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