Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
Biografie. In einem Artikel stimmt ein Name nicht, die Orthografie ist nicht richtig. Oder ich erkenne jemanden nicht wieder, den ich eigentlich kennen müsste, bei einer Party oder so.
Beim Bäcker ruft niemals jemand: »Drängel dich nicht vor, du Suppenkasper!« Sie protestieren manchmal, aber sie sind immer höflich. Noch nie hat ein Redakteur zu mir gesagt: »Es heißt Friedrich Merz mit e, nicht Friedrich März, du dumme Nuss.« Und wenn du auf einer Party jemanden verwirrt anlächelst, mit dem du vor acht Monaten mal ein nettes Gespräch geführt hast, dann zeigt dir diese Person niemals den Vogel oder den Stinkefinger.
Das Auto vermittelt den Menschen bei der Kommunikation ein Gefühl der Freiheit. Sie hupen, sie rufen: »Idiot, Volldepp«, dann geben sie Gas, und weg sind sie. Bei den Kommentaren im Internet ist es ähnlich. Die meisten Internetkommentatoren würden die Grobheiten, die sie schreiben, der betreffenden Person niemals ins Gesicht sagen. Man bewegt sich im Schutze eines anonymen Internetprofils, deshalb lässt man die Sau raus, genauer gesagt: die blöde Sau. Wenn sie einem gegenübersitzen, sind die Menschen weniger aggressiv als im Auto nebenan oder beim Surfen im Internet. Höflichkeit und Freundlichkeit sind bei vielen eine Fassade, hinter der sich ein Abgrund verbirgt.
Wenn wir könnten, wie wir wirklich wollten, würden wir uns, fürchte ich, mehrmals täglich gegenseitig die Fresse polieren. Der freie Mensch, der nichts zu befürchten hat, keine Beleidigungsklage, keine Ohrfeige, keinen Gegenschlag, tendiert zur Bösartigkeit. Natürlich bin ich keine Ausnahme, ich bin keiner von den Guten, ich fürchte, ich bin eher ein Gaddafi als ein Gandhi. Dies war nämlich immer das Hauptproblem von Oberst Gaddafi: Er war frei. Er konnte tun, was er wollte. Deswegen bin ich kein Anhänger schrankenloser Freiheit, ich habe Angst davor. Freiheit artet oft in Freimacherei aus.
Über Freundschaft
Ich habe eine nette junge Frau kennengelernt. Also, es ist wirklich nur eine Bekanntschaft. Wir haben uns unterhalten. Sie schreibt auch ein bisschen. Nun öffnete ich den Briefkasten. Er enthielt ein Buch, das sie verfasst hat, und einen Brief. Von dem Buch hatte ich bereits gehört, es scheint gut zu sein. Es gab ein paar Kritiken, alle positiv.
In dem Brief stand, das Buch verkaufe sich leider nicht besonders, trotz positiven Presse-Echos. Ob ich eine Kolumne darüber verfassen könne. Sie würde mich dann zum Essen einladen.
Ein guter Freund ist eine Person, die man um vier Uhr nachts anrufen kann, wenn man den Hausschlüssel verloren hat. Ich glaube, dass, nach dieser Definition, die meisten Leute weniger als fünf gute Freunde haben. Die Übergänge sind fließend. Wenn ich meinen Schlüssel um halb eins verliere, sind es gleich deutlich mehr Leute, die ich anrufen kann.
Wer mit einem Zahnarzt befreundet ist, setzt sich nicht ins Wartezimmer, sondern ruft privat an, wenn es wehtut. Das halte ich nicht für verwerflich. Auf der anderen Seite sollte man natürlich ein Gefühl für die Grenzen des Zumutbaren besitzen. Wer mit einem Handwerker befreundet ist, sollte ihn nicht bitten, kostenlos die eigene Hundertfünfzig-Quadratmeter-Wohnung zu renovieren. Um gewisse Dinge kann man auch einen Freund nicht bitten. Man muss darauf warten, dass er es anbietet. Eine Freundschaft sollte mit Rücksichtnahme einhergehen und begründet kein unbegrenztes Zugriffsrecht auf die Zeit und das Eigentum des anderen. Seltsamerweise glauben aber viele, dass man zu Leuten, die man mag, weniger freundlich sein müsse als zu den anderen.
Als Autor wird man oft darum gebeten, über dieses oder jenes zu schreiben, leider auch von Freunden. Das führt dann immer zu einem Knick in der Freundschaftskurve. Ich mache das nicht. Das ist Betrug. Als Leser erwarte ich, dass der Autor, den ich lese, seine Themen nach anderen Kriterien aussucht als dem der Freundschaft. Meine Themen suche ich mir aus, weil ich die Hoffnung habe, etwas dazu sagen oder eine Geschichte erzählen zu können, natürlich klappt das am Ende nicht immer.
Ich wurde wütend auf diese Frau. Und wenn ich das Buch schlecht finde? Totalen Mist? Was dann? Dann soll ich wohl besser nichts schreiben, nehme ich an. Am selben Tag rief ein Verlag an. Ein alter Freund hat ebenfalls ein Buch geschrieben. Nun fragt mich der Verlag in seinem Namen, ob und wann meine Besprechung erscheint. Ich habe am Telefon herumgestottert. Hinterher habe ich mich selbst gehasst, warum
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