Anthrax
war richtig gewesen. Er hatte sich nicht nur ein paar schnelle Dollar verdient, sondern auch seine Sorgen einigermaßen verdrängen können – zumindest während der Anwesenheit von Fahrgästen, weil er sich da auf den Verkehr konzentrieren mußte. Am Ende der Stoßzeit waren seine Sorgen zurückgekehrt, und er hatte sich auf den Nachhauseweg gemacht. Schließlich gab es wichtigere Dinge zu tun, als den ganzen Tag im Taxi zu verbringen. Er wollte so schnell wie möglich in seinem Labor weiterarbeiten. Obwohl er keinen Hunger hatte, zwang er sich, ein wenig Müsli zu essen. Sein Magen grummelte nach der Pizza und dem vielen Kaffee der vergangenen Nacht, und der Wodka gab ihm den Rest. Während er aß, starrte er auf das Telephon. Die gerichtsmedizinische Ermittlerin hatte ihm eine Nummer gegeben, unter der er sich am Nachmittag melden sollte, um zu erfahren, wann Connies Leiche freigegeben und an das von ihm ausgewählte Bestattungsinstitut überführt werden konnte. Ob es wohl schon soweit war? Je schneller Connies Leiche aus der Welt geschafft wurde, desto besser.
Yuri wählte die Nummer. Zu seiner Überraschung meldete sich eine weibliche Stimme und kein Anrufbeantworter. Er nannte seinen Namen und erkundigte sich nach dem Leichnam seiner Frau.
»Wie lautete noch einmal der Name?« hakte die Vermittlerin nach.
»Davydov«, wiederholte Yuri. »Connie Davydov.«
»Warten Sie bitte einen Augenblick! Ich sehe mal nach.« Yuri spürte, wie sein Herz zu rasen begann. Er haßte jede Art von Bürokratie.
»Ich finde keine Connie Davydov«, meldete sich die Vermittlerin erneut. »Sind Sie sicher, daß Ihre Frau in das Gerichtsmedizinische Institut Brooklyn gebracht wurde?«
»Natürlich!« erwiderte Yuri. »Ich war doch selber dabei.«
»Wie schreibt sich Davydov?«
Yuri buchstabierte seinen Nachnamen. Er geriet allmählich in Panik. Vielleicht hatten sie die richtige Diagnose gestellt und die Polizei eingeschaltet. Womöglich war die Polizei in diesem Moment schon auf dem Weg zu ihm nach Hause. Vielleicht. »Hier habe ich sie ja«, stellte die Frau fest. »Kein Wunder, daß ich sie nicht gefunden habe. Ihre Frau wurde gar nicht obduziert.«
»Sie meinen, die Obduktion hat noch nicht stattgefunden?« vergewisserte sich Yuri.
»Nein«, berichtigte die Vermittlerin. »Die Ärzte haben entschieden, die Leiche Ihrer Frau nicht zu obduzieren.«
»Warum denn nicht?« fragte Yuri. Es klang zu schön, um wahr zu sein.
»Einzelheiten erfahren wir Vermittler nicht. Da müssen Sie mit dem diensthabenden Pathologen sprechen. Heute ist Dr. Ran-dolph Sanders zuständig. Einen Augenblick bitte!« Yuri wollte etwas einwenden, denn er war sich gar nicht so sicher, ob er mit dem diensthabenden Pathologen sprechen sollte; doch die Vermittlerin hatte ihn bereits in die Warteschleife gehängt. Aus dem Hörer ertönte einlullende Fahrstuhlmusik.
Beim Warten bemühte er sich, einigermaßen die Nerven zu behalten. Daß Connies Leiche nicht obduziert werden sollte, war eine gute Nachricht, mit der er nicht gerechnet hatte – vorausgesetzt, sie stellte sich auch als richtig heraus. Er trommelte unruhig mit den Fingern auf dem Küchentresen herum und gönnte sich einen weiteren Schluck Wodka.
»Dr. Sanders am Apparat«, wurde die Musik auf einmal unterbrochen. »Kann ich Ihnen helfen?« Yuri erklärte nervös, wer er war und was man ihm mitgeteilt hatte.
»Ach ja«, entgegnete Dr. Sanders. »Ich habe den Fall vor Augen. Meiner Ansicht nach erübrigt sich hier eine Autopsie.«
»Dann ist die Leiche also freigegeben?« wunderte Yuri sich. »Richtig«, bestätigte Dr. Sanders. »Das Bestattungsinstitut kann den Leichnam sofort abholen. Ich glaube, Sie hatten sich für Strickland’s entschieden, stimmt das?«
»Ja«, erwiderte Yuri. »Soll ich das Institut verständigen?«
»Darum hat sich sicher schon unser Büro gekümmert«, entgegnete Dr. Sanders. »Und wenn nicht, werden sie das in den nächsten Minuten tun.«
»Vielen Dank«, entgegnete Yuri. Um sich nicht zu verraten, zwang er sich, seine Begeisterung in Grenzen zu halten. »Eine Frage habe ich noch – aus reiner Neugier, versteht sich. Warum haben Sie Ihr Vorhaben geändert? Ich bin natürlich erleichtert, daß Sie sich gegen eine Autopsie entschieden haben. Ganz wohl war mir bei dem Gedanken nämlich nicht, daß meine Frau in ihrer letzten Ruhe gestört werden sollte.«
»Im Grunde haben wir unsere Pläne gar nicht geändert«, erläuterte Dr. Sanders. »Von den Opfern,
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