Anthrax
Curt blieb vor Schreck der Mund offenstehen. Steve stieß ein paar leise Flüche aus. Sie waren derart perplex, daß sie kein normales Wort herausbrachten.
»Die beiden Männer möchten dir ein paar Fragen stellen«, raunzte Yuri seiner Frau zu. Dann sah er Curt erwartungsvoll an.
Curt räusperte sich und versuchte seine Gedanken zu ordnen. »Mrs. Davydov, haben Sie eine Ahnung, was in Ihrem Keller vor sich geht? Wissen Sie, was Ihr Mann dort unten macht?«
Connie sah Curt und Steve herausfordernd an. »Nein!« fauchte sie. »Und es interessiert mich auch einen Dreck!«
»Haben Sie irgendeine Ahnung?« Connie musterte Yuri. »Antworte!« brüllte er sie an.
»Ich dachte, er würde da unten Wodka brennen«, brachte Connie schließlich hervor.
»Und das glauben Sie jetzt nicht mehr?« bohrte Curt weiter. »Die beiden großen silbernen Behälter sind tatsächlich von einer Brauerei geliehen.«
»Davon weiß ich nichts«, erwiderte Connie. »Aber die kleinen Glasschalen, ich meine die flachen, die habe ich schon mal im Krankenhaus gesehen. Sie werden für Bakterientests verwendet.«
Curt nickte Steve unmerklich zu. Steve erwiderte die Geste. »Das reicht«, wandte sich Curt an Yuri. Yuri versuchte seine Frau in ihr Schlafzimmer zurückzuscheuchen, doch sie ließ sich nicht so schnell vertreiben. »Ich gehe erst, wenn du mir deinen Fernseher rüberbringst.« Yuri zögerte. Dann stampfte er in sein Zimmer und kam ein paar Sekunden später mit einem kleinen Fernseher zurück, an dem eine altmodische Zimmerantenne befestigt war. Connie verschwand außer Sichtweite.
»Hättest du so etwas für möglich gehalten?« murmelte Curt. »Ja«, erwiderte Steve. »Vielleicht verstehst du jetzt meine Bedenken von heute morgen, als wir das Verwaltungsgebäude ausgekundschaftet haben. Dieser Kerl ist noch viel naiver, als ich befürchtet hatte.«
»Wenigstens hat er das Labor gebaut«, gab Curt zu bedenken. »Von seinem Fach scheint er jedenfalls etwas zu verstehen.«
»Da hast du recht«, stimmte Steve zu. »Das Labor ist wirklich beeindruckend. So etwas hätte ich nicht erwartet.« Curt seufzte frustriert. Aus Connies Schlafzimmer ertönte plötzlich das laute Gelächter einer Fernseh-Sitcom. Im nächsten Augenblick stellte jemand den Ton leiser. Yuri kam zurück, schloß die Tür hinter sich und setzte sich auf den freien Stuhl. Er nahm einen Schluck Wodka und musterte besorgt seine Gäste.
Curt fehlten die Worte. Herauszufinden, daß Yuri verheiratet war, reichte eigentlich schon; aber daß er auch noch eine Schwarze geheiratet hatte, war absolut unglaublich. So etwas ging voll und ganz gegen Curts Moralvorstellungen, und doch befand er sich in der mißlichen Lage, mit dem Mann zusammenarbeiten zu müssen.
Curt war im rauhen Arbeitermilieu eines ausschließlich von Weißen bewohnten Viertels aufgewachsen. Sein gewalttätiger Vater, ein Bauarbeiter, hatte ihn unentwegt daran erinnert, daß er im Gegensatz zu seinem berühmten Bruder Pete der als Fußballstar Furore machte, eine absolute Niete Curt fand Trost im Haß und wurde genauso intolerant wie die meisten in seiner Umgebung. Es war bequemer und aktischer, eine leicht identifizierbare Gruppe für alle Übel dieser Welt verantwortlich zu machen, als sich mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten auseinanderzusetzen. Doch erst als er in San Diego bei den Marines landete, schlug seine engstirnige Borniertheit in richtigen Rassenhaß um; vor allem jede Form der Rassenmischung verabscheute er von da an zutiefst.
Der Wandel hatte sich nicht von heute auf morgen vollzogen. Ursprünglich war seine ideologische Überzeugung auf ein zufälliges Zusammentreffen mit einem Mann zurückzuführen, der fast doppelt so alt gewesen war wie Curt selbst. Die Begegnung hatte 1979 stattgefunden. Curt war neunzehn Jahre alt gewesen. Er hatte gerade die Grundausbildung hinter sich gebracht, die sein Selbstvertrauen enorm gestärkt hatte. Er war gemeinsam mit ein paar von seinen neuen Kameraden, unter ihnen auch einige Afroamerikaner, losgezogen und in eine außerhalb des Kasernengeländes gelegene Kneipe in Point Loma eingekehrt. Die Kneipe wurde in erster Linie von Militärangehörigen besucht, vor allem von Marinetauchern und Marines. Sie war düster und verraucht. Als einzige Lichtquelle dienten ein paar Niedrig-Watt-Birnen, die in altmodischen Taucherhelmen baumelten. Aus der Musikbox dröhnten Songs von einer Gruppe, die sich, wie Curt später erfuhr, Skrewdriver nannte. Neben der
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