Anthrax
beizubehalten. Als ihnen die Geschichten ausgingen, stand Paul auf und entschuldigte sich. Laurie sah ihm nach, während er in Richtung Toilette verschwand. Dann wandte sie sich ihren beiden alten Freunden zu und seufzte. »Ist er nicht großartig?« fragte sie.
Jack und Lou begannen im Chor zu antworten und überließen dann großzügig dem jeweils anderen das Wort. »Was ist denn los mit euch?« fragte Laurie. »Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?« Ihr verklärtes Lächeln schwand dahin.
»Wir waren nicht darauf vorbereitet, deinen Zukünftigen kennenzulernen«, gestand Jack schließlich. »Wir dachten, daß du ein Jobangebot in einer anderen Stadt hast und wegziehen würdest. Daß du heiraten willst, wäre uns nie in den Sinn »Und warum nicht?« fragte Laurie entrüstet. »Das klingt wie eine Beleidigung. Bin ich dafür zu alt, oder was?«
»So habe ich es nicht gemeint«, erwiderte Jack kläglich. »Wie lange kennst du ihn schon?« wollte Lou wissen. »Seit einem guten Monat«, erwiderte Laurie. Sie hatte das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. »Das ist nicht lange, ich weiß. Aber ich finde es nicht so dramatisch. Paul ist intelligent, warmherzig, großzügig, selbstsicher und bereit, eine Bindung einzugehen – alles das zählt! Am tollsten finde ich, daß er soviel Vertrauen in unsere Beziehung hat, daß er sich ernsthaft binden will.«
Jack und Lou fühlten sich unwillkürlich an den Pranger gestellt.
»Ich kann es kaum fassen«, staunte Laurie. »Von euch beiden hätte ich eigentlich am ehesten erwartet, daß ihr euch für mich freut.«
»In welcher Branche arbeitet dein Zukünftiger?« erkundigte Jack sich.
»Was ist das denn für eine Frage?« fragte Laurie zurück. »Bloß Routine, mehr nicht«, sagte Jack vorsichtig. »Um die Wahrheit zu sagen – ich weiß es nicht«, gestand Laurie. »Aber es ist mir auch egal. Schließlich interessiere ich mich für ihn und nicht dafür, womit er sein Geld verdient. Ihr Männer seid einfach unmöglich.«
»Haben deine Eltern ihn schon kennengelernt?« fragte Lou. »Natürlich«, erwiderte Laurie. »Durch sie bin ich Paul überhaupt erst begegnet.«
»Wie schön«, brachte Lou hervor.
Laurie lachte freudlos auf. »So habe ich mir den Abend nun wirklich nicht vorgestellt.«
Jack und Lou wußten nicht so recht, was sie darauf erwidern sollten. Glücklicherweise kam Paul zu ihrer Rettung von der Toilette zurück. Er war bester Laune und ahnte nicht im geringsten, was während seiner Abwesenheit vorgefallen war. Als er sich wieder setzen wollte, stand Laurie auf.
»Wir sollten jetzt gehen«, schlug sie vor. »Wollen wir nicht noch ein bißchen bei einem Drink an der Theke weiterplaudern?« fragte Paul.
»Ich glaube, wir hatten alle genug«, erwiderte Laurie. »Oder um es mit Jacks Worten zu sagen – morgen ist Schule, und wir müssen alle früh raus.«
Jack versuchte, sich ein Lächeln abzuringen. Er hatte Laurie enttäuscht und fühlte sich erbärmlich. »Ich wünsche euch alles Gute«, sagte er mit gequält vorgetäuschter Euphorie und sprang auf. »Zur Feier des Tages schlage ich vor, daß Lou und ich die Rechnung übernehmen.«
»Schon erledigt«, stellte Paul mit überheblicher Miene klar. »Den Abend haben wir arrangiert.«
»Ich möchte lieber selber zahlen«, wandte Jack ein. »Das finde ich passender.«
»Blödsinn«, entgegnete Paul und schüttelte Jack und Lou die Hand. »Hat mich sehr gefreut, die beiden besten Freunde von Laurie kennenzulernen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie oft sie über Sie spricht – und immer nur gut. Da könnte man glatt eifersüchtig werden.«
»Bis morgen im Institut«, verabschiedete sich Laurie. Dann wandte sie sich um und bahnte sich ihren Weg durch das überfüllte Restaurant. Paul winkte zum Abschied und eilte hinter ihr her.
Jack sah Lou an. »Was willst du jetzt machen?«
»Nach Hause gehen und mich erschießen«, ächzte Lou. »Darf ich dir Gesellschaft leisten?« fragte Jack. Die beiden sanken tief in ihre Stühle. Jack war geschockt. Daß Laurie heiraten würde, war noch viel schlimmer, als wenn sie ihren bevorstehenden Umzug verkündet hätte. Anstatt bloß an die Westküste zu gehen, siedelte sie gleich auf einen anderen Planeten über. Ihre Offenbarung hatte ihn aber noch in anderer Hinsicht aufgeschreckt. Er mußte sich eingestehen, daß er seine eigene Zukunft geflissentlich verdrängt hatte. Das Gefühl, am Tod seiner Familie mitschuldig zu sein, nagte immer noch so sehr an ihm,
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