Anthrax
abhalten, indem er darauf hinwies, daß sie auf Miss Montgomery warten wollten doch der Kellner stellte klar, daß er sich an die Anweisungen der Dame halte.
Als der Kellner gegangen war, hob Jack sein Glas. Lou folgte ihm, und sie stießen wortlos an. Jack dachte über einen Trinkspruch nach, doch ihm wollte nichts Witziges einfallen. Also probierten sie den Champagner schweigend. »Wahrscheinlich ist er gut«, vermutete Lou. »Aber ich bin kein großer Champagnerfan. Meiner Ansicht nach eignet er sich am besten dafür, ihn bei Siegerehrungen zu verspritzen.«
»Ganz meine Meinung«, stimmte Jack ihm zu und nahm einen weiteren Schluck. Im gleichen Moment erblickte er über den Rand seines langstieligen Glases hinweg Laurie. Sie trug einen gutsitzenden schwarzen Samtanzug, der ihre unbestreitbar weiblichen Formen betonte. Ihren Ausschnitt schmückte eine dreireihige Perlenkette. In Jacks Augen sah sie blendend aus, sogar so blendend, daß er sich an seinem Champagner verschluckte.
Jack und Lou sprangen auf. Sie saßen so beengt, daß Lou aus Versehen gegen den Tisch stieß und seinen Champagner verschüttete. Glücklicherweise hielt Jack sein Glas fest in der Hand.
»Was bin ich bloß für ein Trampel!« stöhnte Lou. Laurie lachte, nahm eine Serviette und wischte den Champagnersee auf. Ein Kellner eilte herbei* und half ihr dabei. »Vielen Dank, daß ihr gekommen seid«, begrüßte Laurie die beiden und gab jedem ein Küßchen auf die Wange. In diesem Augenblick registrierte Jack, daß Laurie nicht allein war. Hinter ihr stand ein sonnengebräunter Mann mit dunklem Teint, dichtem gewelltem Haar und strahlend weißen Zähnen. Er war kaum größer als Laurie, die gerade mal einen Meter fünfundsechzig maß; aber ihn umgab eine Aura von Selbstsicherheit und Macht. Jack vermutete, daß der Mann etwa so alt war wie er. Er trug einen dunklen Seidenanzug, aus dessen Brusttasche ein helles quadratisches Seidentuch hervorlugte. Neben diesem Anzug wirkte Lous Schmuckstück, als hätte er es in der Ramschabteilung eines Kaufhauses erstanden.
»Ich möchte euch Paul Sutherland vorstellen«, sagte Laurie. Ihre Stimme zitterte, als wäre sie nervös. Lou schüttelte dem Mann als erster die Hand, dann sagte Jack ihm guten Tag. Als sich ihre Blicke begegneten, hatte Jack Schwierigkeiten zu sagen, wo die Iris im Auge des Mannes aufhörte und wo die Pupille begann. Es kam ihm vor, als blickte er in die Tiefe von zwei schwarzen Murmeln. Pauls Handschlag war fest und resolut. »Wollen wir uns nicht setzen?« forderte Laurie sie auf. Paul zog für Laurie eilig einen Stuhl unter dem Tisch hervor. Als Laurie Platz genommen hatten, setzten sich auch die drei Männer. Der Kellner füllte ihre Champagnergläser. »Okay, ich bringe den Toast aus«, verkündete Laurie. »Auf unsere Freundschaft!«
»Bravo!« rief Paul. Sie stießen an und tranken.
Danach entstand eine Verlegenheitspause. Jack und Lou hatten keine Ahnung, warum Laurie einen Fremden mitgebracht hatte, und sie trauten sich nicht zu fragen. »Meine Güte, war das ein hektischer Tag!« beendete Laurie schließlich das Schweigen. »Meinst du nicht auch, Lou?«
»Kann man wohl sagen«, stimmte er ihr zu. »Ich habe dir doch vorhin von dem Skinhead-Mord erzählt, der Lou und mich den ganzen Tag auf Trab gehalten hat«, wandte Laurie sich an Paul. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn wir ein bißchen fachsimpeln.«
»Überhaupt nicht«, entgegnete Paul. »Ich finde eure Geschichten faszinierend. Bestimmt kennt ihr die alte Fernsehserie über den Gerichtsmediziner. Das war immer meine Lieblingssendung.«
»Paul ist Geschäftsmann«, erläuterte Laurie. Jack und Lou nickten im Einklang. Jack erwartete eigentlich, von Laurie zu erfahren, in welcher Branche Paul Sutherland tätig war, doch sie wechselte das Thema. »Ich habe heute mehr über gewalttätige ultrarechte Gruppierungen erfahren, als mir lieb ist, vor allem über rechte Bürgermilizen und Skinheads.«
»Für mich war es völlig neu, daß Musik im Zusammenhang mit der Skinhead-Bewegung so eine große Rolle spielt«, fügte Lou hinzu.
»Was mich am meisten erstaunt und mir eine Riesenangst macht, ist, daß diese Bürgermilizen sich in allen Bundesstaaten organisiert haben«, erklärte Laurie. »Special Agent Gordon Tyrell geht davon aus, daß in den USA etwa vierzigtausend sogenannte Survivalists auf der Lauer liegen – wobei keiner weiß, worauf sie warten.«
»Ich glaube, sie warten darauf, daß der Staat an
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