Anthrax
Fontäne war inzwischen versiegt. Im regelmäßig aufleuchtenden Lichtstrahl des noch funktionierenden Blaulichts dampfte der Motor. Curt schwieg. Er fuhr ein Stück vor und hielt neben Nats Wagen. »Hört zu, ihr Affen!« schnauzte er los, als die Fenster heruntergekurbelt waren. »Ihr fahrt jetzt auf direktem Weg zur White Pride Bar! Dort findet eine Einsatzbesprechung statt. Ihr haltet nirgends an! Verstanden? Und haltet euch ans Tempolimit!«
»Verstanden«, erwiderte Nat. Aus dem Wagen ertönte Gelächter.
Curt fuhr an und schüttelte frustriert den Kopf. Der ganze Einsatz kam ihm vor wie eine Komödie, die allerdings alles andere als witzig war.
»Das Bullenauto sieht aus, als ob es gleich in die Luft fliegt«, stellte Mike fest. Curt warf einen Blick auf den Streifenwagen und wollte seinem Beifahrer gerade erklären, daß es sich bei dem Rauch nur um verdampfende Kühlflüssigkeit handelte, die mit der heißen Auspuffanlage in Berührung gekommen war, als er aus dem Augenwinkel die letzte dumme Tat seiner Truppe mit ansehen mußte. Anstatt vorwärts zu fahren, setzte Nat zurück und überrollte den auf dem Bauch liegenden Polizisten. Curt zuckte zusammen. County-Sheriffs waren längst nicht in dem Maße seine Feinde wie Bundeskriminalbeamte oder städtische Polizisten. Mike sah geradeaus, als Curt an der nächsten Kreuzung nach Westen in Richtung New York abzog. »Ich weiß, warum Kevin und Luke hinter den beiden Schwuchteln hergejagt sind.«
»Klar«, erwiderte Curt genervt und frostig. Wie auch immer die Erklärung der beiden lauten mochte – er würde Kevin und Luke gehörig zur Schnecke machen, wenn sie wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt waren. Sie hatten sich nicht an seinen Befehl gehalten, und das konnte er nicht tolerieren. »Es war ein gemischtes Paar«, erklärte Mike. »Einer von den beiden war weiß und der andere ein Nigger – und die Mistkerle haben Händchen gehalten.«
»Na, wenn das so ist!« entgegnete Curt. Sein Sinneswandel war ehrlich gemeint. Rassenmischung, und dann auch noch unter Schwulen, war das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte. Daher begriff er sofort, daß seine Rekruten den Anblick als Provokation empfunden hatten.
Yuri öffnete die Augen und richtete sich auf. Er war auf dem Sofa eingeschlafen und hatte keine Ahnung, was ihn geweckt hatte. Er sah auf die Uhr. Es war kurz nach eins. Durch die geschlossene Tür von Connies Schlafzimmer hörte er den Fernseher.
russisch vor sich hinfluchend, nahm er die Füße vom Sofa und trat in seine Hausschuhe. Da er als Taxifahrer früh aufstehen mußte, ging er nie spät ins Bett. Dementsprechend hatte er keine Ahnung von Connies Schlafgewohnheiten. Er wußte zwar, daß sie später ins Bett ging als er, aber daß sie nach eins noch nicht schlief, wunderte ihn. Wenn er Pech hatte, war sie weggeschlummert, ohne ihr Walnußsahneeis verputzt zu haben.
Er stand auf und zuckte zusammen, als er auf einmal einen stechenden Schmerz in den Schläfen spürte. Im nächsten Augenblick wurde ihm übel. Hastig klappte er den Deckel der auf dem Beistelltisch liegenden Pizzaschachtel zu. Die verkrustete Oberfläche seiner kalten halb aufgegessenen Pizza ekelte ihn an.
Vor lauter Erschöpfung fühlte er sich furchtbar. Um besser nachdenken zu können, leerte er erst einmal sein Wodkaglas. Es mußte etwas geschehen. Er konnte unmöglich noch länger darauf warten, daß Connie nach ihrem Nachtisch verlangte.
Vor ihrer Tür hielt er ein paar Sekunden inne und überlegte, ob er anklopfen oder so hineinplatzen sollte, wie er es normalerweise tat, wenn er aus seltenem Anlaß ihr Zimmer betrat. Schließlich öffnete er einfach die Tür. Connie sah sich gerade einen Klassiker an und warf Yuri einen kurzen Blick zu. Ihr linkes Auge war noch mehr angeschwollen. Neben dem Bett lag die offene und natürlich leere Pizzaschachtel.
»Willst du dein Eis nicht essen?« fragte er mit rauher Stimme. »Du bist noch auf?« fragte Connie zurück. »Was ist los mit dir? Bist du krank?«
»Nur müde und kaputt.«
»Ich dachte, du wärst längst im Bett.«
»Ich bin auf dem Sofa eingeschlafen«, erklärte Yuri. »Was ist mit dem Eis?«
»Wieso redest du ständig auf mich ein, daß ich das Eis essen soll?« wollte Connie wissen. »Es ist doch viel zu spät. Ich war schon fast eingeschlafen.«
»Komm schon!« drängte Yuri. »Du wollest unbedingt, daß ich es bestelle.«
»Bist du wirklich nicht krank?« hakte Connie noch einmal nach. »Du wirst mir
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