Anthrax
Sprachstörungen waren auf jeden Fall Symptome. Was ihm Sorgen bereitete, war, daß sie sich übergeben hatte. Was für eine Ironie des Schicksals wäre es, wenn sie einen Großteil des Gifts erbrochen hätte, weil er ihr eine zu hohe Dosis verpaßt hatte! Aber die Übelkeit konnte genausogut daher resultieren, daß ihr Körper das Toxin absorbierte. Yuri kannte die Wirkung von Botulinustoxin nur aus Versuchen mit Mäusen, Ratten, Hunden und Affen. »Okay, ich hole dir ein Glas Wasser.«
»Vielleicht solltest du mich ins Krankenhaus bringen!« rief Connie, ohne das ›H‹ mitzusprechen.
»Wegen Magenkrämpfen? Du spinnst wohl!«
»Ich habe Angst. Ich fühle mich so komisch.«
»Ich hole jetzt das Wasser«, sagte Yuri. Er schloß die Tür und ging in die Küche. Das Ganze zerrte mehr an seinen Nerven, als er gedacht hatte. Falls ein Arzt sie in ihrem jetzigen Zustand sah, konnte er unter Umständen die richtige Diagnose stellen. Als er an der Spüle stand und Wasser ins Glas laufen ließ, pochte es auf einmal laut an der Haustür. Er fuhr zusammen und bekam schlagartig eine so wahnsinnige Angst, wie sie nur jemand kennen konnte, der einmal gezwungen war, unter einem despotischen, totalitären Regime zu leben. Mit einem Mal war auch seine Kehle wie ausgetrocknet. Hastig trank er einen Schluck Wasser. Er mußte das Glas mit beiden Händen fest umklammern. Am ganzen Leibe zitternd, schlich er zur Jalousie und spähte nach draußen. Er hatte sich so auf Connie konzentriert, daß er Curt vollkommen vergessen hatte – bis er dessen vertraute von der Außenlampe angestrahlte Silhouette erkannte. Steve stand im Halbdunkel hinter ihm, die Hände in den Hosentaschen vergraben.
Im ersten Augenblick war Yuri erleichtert, doch während er die Tür aufschloß, fluchte er leise vor sich hin. Einen ungünstigeren Zeitpunkt hatten sich die beiden nicht aussuchen können.
»Wir haben ein Geschenk für dich, Partner«, sagte Curt zur Begrüßung und zeigte über die Schulter. Yuri sah auf die Straße. Hinter Gurts Wagen stand ein dunkles Fahrzeug, auf dessen Fahrertür der Schriftzug ›Wöuton’s Pest Control‹ prangte.
»Ist der Wagen auch mit dem richtigen Verstäuber-Equipment ausgestattet?« fragte Yuri.
»Bringen wir das verdammte Ding erst mal in die Garage!« erwiderte Curt. »Danach können wir weiterreden.«
»Okay«, willigte Yuri ein. »Ich komme sofort.« Er schloß die Tür und rannte in die Küche. Dann stürmte er mit dem Glas Wasser zurück in Connies Zimmer und reichte es ihr. Als sie es entgegennehmen wollte, fuchtelte sie wild mit dem Arm umher, verfehlte es aber auf der ganzen Linie.
»Ich kann nicht mehr«, stöhnte sie und ließ hilflos den Arm aufs Bett fallen. »Sogar das Atmen fällt mir schwer.«
»Kein Problem«, entgegnete Yuri. »Ich halte dir das Glas.« Während Connie vergebens versuchte, den Kopf zu heben, hielt Yuri ihr das Glas an die Lippen. Sie verschluckte sich, und das Wasser rann über die Wangen. Im nächsten Augenblick mußte sie husten und lief dabei rot an. »Ich bringe dir noch eins«, versprach Yuri und wollte das Glas auf dem Nachttisch abstellen. Da dort kein Platz war, gesellte er es zu den Scherben auf dem Boden. Connie versuchte, ihm inmitten ihres Hustenanfalls etwas zu sagen, doch Yuri ignorierte es.
Er eilte zurück in die Küche, nahm seinen Schlüsselbund und lief zur Haustür. Als er sie öffnete, sah er, daß Curt nicht besonders glücklich wirkte.
»Sehr freundlich, daß du uns hier in der Dunkelheit rumstehen läßt«, fuhr Curt ihn an.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Yuri und zog die Tür hinter sich zu. »Mit Connie spitzt sich die Lage gerade zu.«
»Was soll das heißen?« wollte Curt wissen. »Ich konnte ihr das Toxin erst ziemlich spät verabreichen«, erklärte Yuri, während er auf die Garage zusteuerte. »Sie hat jetzt die ersten Symptome.«
»Aber du bist sicher, daß sie heute nacht die Grätsche macht?« hakte Curt nach und folgte ihm. Steve ging zurück zur Straße und holte den Wouton-Wagen. »Das vermute ich«, erwiderte Yuri und öffnete die Seitentür der Garage.
»Moment mal!« raunte Curt. Er packte Yuri am Arm und hielt ihn fest. »Vermutungen können wir uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr leisten. Wenn etwas schiefläuft, könnte das die ganze Operation ins Wanken bringen. Ich will Sicherheit! Hast du das kapiert?«
»Ich habe ihr eine Dosis verpaßt, mit der ich ganz Brooklyn hätte auslöschen können«, schoß Yuri zurück.
Weitere Kostenlose Bücher