Anthropofiction
eine Phase des Gigantismus durchlaufen, von der die massiven Kieferknochenfragmente Zeugnis ablegten.
Aber ein großer Kiefer bedeutet, wie die kleinen Hinterkopfreste der Affenmenschen in Afrika anzeigen, nicht unbedingt, daß ein großer Körper dazugehören muß. Zweifellos gehört der Meganthropus zu den Australopithecines. Es ist sogar wahrscheinlicher, daß der Mensch keine Phase des Gigantismus durchlaufen hat.
Offenbar hat de Camp sich auf Weidenreichs Theo rie verlassen, um die Vorstellung menschlicher Riesen in ›Fünfhundert-Kilo-Kerle‹ zu stützen. Diese Theorie ist jedoch, nachdem die Geschichte geschrieben wurde, verworfen worden. Aber das macht nichts. Der Giganthropus ist eine riesige Form des Homo sapiens, die de Camp mit eigenen Absichten erfunden hat.
›Throwback‹ soll mit seinem Klang von Atavismus zusammen mit dem Namen Gigantanthropus, der präadamitische Barbarei verspricht, die Vorstellung eines geistigen und körperlichen Rohlings hervorrufen. Daß der Held der Geschichte lieber Kunst studieren möchte, als seinen plumpen Körper beim Football zu trainieren, ist ein Grund zum Staunen für Leute, die nicht wissen, daß ein prähistorischer Mensch, der der Vergangenheit entrissen worden ist, dennoch mit einem menschlichen Hirn denkt, das nicht umhin kann, auf seine unmittelbare Umgebung zu reagieren. Man kann von dem Gigantanthropus der Älteren Steinzeit nicht erwarten, daß er ein Leben als Jäger führt, wenn der Rahmen für den Gigantanthropus das Amerika von 1940 ist.
Zu seiner Behauptung der intellektuellen Gleichheit der Menschheit in ihrer Erziehbarkeit könnte de Camp durchaus durch die wirkliche Lebensgeschichte von Ishi angeregt worden sein, dem letzten wilden Indianer Nordamerikas. Ishi kam aus einer Steinzeitwelt der Jagd in das urbane Amerika des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Theodora Kroeber sagte von Ishi, er sei eine lebendige Bestätigung des Glaubens der Anthropologen, daß der moderne Mensch – Homo sapiens –, ob zeitgenössischer amerikanischer Indianer oder Athener des Griechenlands zu Phidias’ Zeiten, ganz einfach und vollständig menschlich ist; in seiner Biologie, in seiner Fähigkeit, neue Fertigkeiten und neue Verhaltensweisen, denen eine veränderte Umwelt ihn aussetzt, zu erlernen, in seiner Beherrschung abstrakten Denkens und in seinem moralischen und ethischen Unterscheidungsvermögen. (Kroeber, 1961:230).
Die Geschichte der kulturellen Evolution von den prähistorischen Jägergesellschaften bis zur urbanen Zivilisation ist ein Gegenstand von anwachsendem Inhalt, der zur Materie der politischen Wissenschaft gehört. Fortschritte in der Komplexität der Technologie und sozialen Organisation beruhen nicht auf neu erworbenen Fähigkeiten der Menschen, so daß wir näher auf das grundlegende Modell für das menschliche Leben, das Universale Kulturmodell, eingehen wollen.
Das Universale Kulturmodell
Was es bedeutet, menschlich zu sein, kann unter den acht Punkten des Universalen Kulturmodells (UKM) zusammengefaßt werden, das zuerst von Clark Wissler aufgestellt und später von Felix Keesing überarbeitet worden ist (Keesing, 1958:190). Folgende Kategorien gelten:
1. Werkzeuggebrauch
2. Soziale Organisation
3. Ökonomische Organisation
4. Soziale Kontrolle
5. Wissen und Weltanschauung
6. Kunst und Spiel
7. Sprache
8. Weitergabe der Kultur oder Erziehung
Das UKM ist eine allgemeine Strukturtabelle, mit der der Anthropologe den Bestand jeder menschlichen Gesellschaft aufnehmen kann. Einzelne Züge sind von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden, aber der fundamentale Plan kulturellen Verhaltens (als Gegensatz zu tierischem Verhalten) ist überall derselbe. Die acht Kategorien des UKM sind natürlich einfach ein praktisches analytisches Schema. Jede einzelne Kategorie impliziert alle anderen.
Wenn der Mensch materielle Gegenstände nach einem bestimmten Plan anfertigt, muß er aufgrund einer Substanz technologischer Überlieferung und gemeinsamen Wissens arbeiten. Ist Wissen da, so existiert auch die Sprache, um eben jenes zu vermitteln. Existieren Sprache und Gedankengemeinschaft, dann erfolgt eine Weitergabe von Gedanken, Techniken und Verhaltensweisen von einer Generation an die nächste. Erfolgt eine erzieherische Weitergabe, dann gibt es auch eine stabile soziale Gruppe, wo die Generationen zusammenkommen und sich gegenseitig beeinflussen können – eine Familie zumindest –, so daß Kenntnisse und Techniken
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