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Anthropofiction

Anthropofiction

Titel: Anthropofiction Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon E.Stover und Harry Harrison
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Orang-Utan den ursprünglichen Zustand des Menschen darstellt. Er sagt,
    der Orang-Utan hat die verschiedenen Künste, die wir praktizieren, noch nicht erlernt; und unter anderen, die er nicht erworben hat, ist die Kunst der Sprache (Monboddo, 1773-92, I:347).
    Das Fehlen einer Sprache ist natürlich ausschlaggebend, um eine Kultur auszuschließen. Aber was Lord Monboddo hervorheben will, ist, daß, wenn die Kultur wie die Sprache erworben werden kann, der natürliche Mensch die natürliche Fähigkeit haben muß, sie zu erlernen. Er besteht auf diesem Punkt, weil er annimmt, daß es keine einzelne dem Menschen angeborene Sprache geben kann, weil eine große Anzahl verschiedener Sprachen die Menschen unterteilt. Er führt Sektionen alsBeweis an, um darzutun, daß Orangs dieselben Sprachorgane besitzen wie Menschen. Man muß die Orangs nur lehren, ihre Fähigkeiten zu gebrauchen, wie man Stumme sprechen lehrt, um sieartikulationsfähig zu machen. Schließlich argumentiert er, wenn
    solch ein Tier kein Mensch sein soll, möchte ich gerne wissen, worin das Wesen des Menschen besteht und was es ist, das einen natürlichen Menschen von dem kunstfertigen Menschen unterscheidet (Monboddo, 1779-99, III: 42).
    Die Erziehbarkeit von del Reys Gorillas basiert auf Monboddos Behauptung der Unterscheidbarkeit des Menschen und seiner Werke, des natürlichen und kunstfertigen Menschen, aus dem achtzehnten Jahrhundert. In Der Abtrünnige sind Gorillas natürliche Menschen, die durch Unterricht zu kunstfertigen Menschen gemacht werden. Del Rey fügt nur vorsorglich hinzu, daß die Gorilla-Population vorher zugunsten einer höheren Intelligenz eine genetische Veränderung durchmacht, die die Individuen empfänglicher für den Unterricht macht. Ist dieser veränderte Zustand des Gehirns ausreichend, um die angegebenen Resultate zu erzielen? Wohl kaum.
    Doch befand sich Monboddo auf der richtigen Spur. Er begriff, daß der Mensch einheitlich, seine Verhaltensweisen aber mannigfaltig sind. Menschliches Verhalten ist nicht spezies-spezifisch. In den verschiede nen Gesellschaften der Welt gibt es verschiedene Ar ten, menschlich zu sein. Bei den anderen Tiefen, wo jeder Spezies ein bestimmtes Verhaltensmuster entspricht, besteht keine solche Formbarkeit des Verhaltens: tierisches Verhalten ist spezies-spezifisch. Aber die Fähigkeit des Menschen zu formbarem, nicht spezies-spezifischem Verhalten selbst ist für ihn spezifisch und das genetische Markenzeichen seiner Spezies. Die Tätigkeit des Menschen in seinen »verschiedenen Künsten« kann daher am besten ab biokulturelles Verhalten beschrieben werden.
    Biokulturelles Verhalten ist kulturell, insofern das Verhalten durch außerkörperliche Lernprozesse weitergegeben wird: es wird wie Erbstücke ererbt. Biokulturelles Verhalten ist biologisch, insofern die Fähigkeit, erlerntes Verhalten zu übertragen und aufzunehmen, genetisch verwurzelt ist: diese Fähigkeit wird wie blaue Augen ererbt. Menschliches Verhalten bedingt also eine praktische Beziehung zwischen sozialem und genetischem Erbgut.
    Lord Monboddo hat einen unmöglichen Zustand angenommen: den Menschen ohne seine Werke. Er nahm an, es könne so etwas wie einen natürlichen menschlichen Organismus geben, bevor er die Kunstfertigkeiten der Kultur in sich aufgenommen habe, und er nahm an, die Orang-Utan seien ein Beispiel dieses Seinszustandes. Thomas Love Peacock läßt Sir Oran Hautton mit all dem unverdorbenen, stummen Anstand des ursprünglichen Menschen auf einer Dinnerparty erscheinen. Er ist noch ungebildet in den Sitten zivilisierter Menschen mit Ausnahme seiner Geschicklichkeit auf Flöte und Waldhorn. Diese hatte er durch den Unterricht eines Marineoffiziers an Bord eines Schiffes, während seiner Gefangenschaft auf dem Weg nach England, erworben. Dort wurde er sogleich, nachdem man die philosophische Bedeutung seiner inneren Menschlichkeit erkannt hatte, zur Erziehung in eine intellektuelle Gesellschaft entlassen.
    Der Mensch ist tatsächlich von Natur aus geneigt, sich erziehen zu lassen, aber diese Bereitschaft selbst ist ein Produkt der evolutionären Entwicklung wie Wuchs und Gestalt des menschlichen Körpers. Kulturelles Verhalten hat nicht wie ein Blitz im Menschen eingeschlagen, in der Weise, wie irgendeine Mutation bei del Reys Gorillas ihre Erziehbarkeit bewirkte. Die menschliche Evolution ist die Geschichte einer Rückkoppelungsbeziehung zwischen dem Organismus und dem Verhalten, zwischen Biologie und

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