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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
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wird, und Geige werde ich wohl auch nicht mehr spielen
können! Apropos schöner Anblick – ich muß dies
schon im Vorfeld unserer Begegnung und Versöhnung erwähnen,
die hoffentlich eines Tages stattfinden wird – ich
befürchte, daß mein Gesicht durch das Feuer des Anti-Eis
Narben davongetragen hat, die mich zeit meines Lebens begleiten
werden – abgesehen von dem markanten und unverkennbaren Schatten
der Hand, mit der ich in dem Moment, als diese ungewöhnliche
Granate auf Sewastopol fiel, die Augen geschützt hatte.
    Vater, ich schließe nun diesen Brief. Bitte versichert
Mutter und Ned meiner Liebe und Ergebenheit; wie ich schon sagte,
hoffe ich, wenn Ihr es wünscht, Euch alle nach meiner
Rückkehr nach England wiederzusehen; dann werde ich auch
imstande sein, Euch für die Wiedergutmachung zu danken, die Ihr
der jungen Dame habt zukommen lassen, die ich durch die Handlungen
meiner Jugend so schimpflich in ihrer Ehre verletzt habe.
     
    Möge Gott Euch segnen, Sir.
    Ich verbleibe in Liebe
    Euer ergebener Sohn
    HEDLEY VICARS.

 
1

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Auf der Neuen Großen Ausstellung
     
     
    Es war anläßlich der Eröffnung der Neuen
Großen Ausstellung, am 18. Juli 1870, als ich dem
berühmten Ingenieur Josiah Traveller zum erstenmal
persönlich begegnete, obwohl ich bereits mit den
Erzählungen meines Bruders Hedley von der Barbarei aufgewachsen
war, die Travellers Anti-Eis im Krimkrieg bewirkt hatte. Unser erstes
Treffen war recht kurz und wurde durch mein Staunen über die
Kristall-Kathedrale und ihr Inventar überlagert – ganz zu
schweigen von der schönen Françoise Michelet –, und
dennoch sollte die durch diese erste zufällige Begegnung
initialisierte Kausalkette schrittweise in das erstaunliche Abenteuer
führen, das mich über die Stratosphäre erheben und
schließlich in die Tiefen einer von Menschenhand erschaffenen
Hölle in Orleans führen würde.
    In jenem klimaktischen Jahre 1870 diente ich als
Junior-Attaché im Foreign Office. Mein Vater hatte unbeschadet
meines oberflächlichen Charakters und meines noch bescheideneren
Intellektes darauf bestanden, mir eine Position zu verschaffen, in
der ich dem Land bedeutende Dienste erweisen konnte. Ich glaube,
daß er sogar mit dem Gedanken gespielt hatte, mir einen
Offiziersrang in einer der Teilstreitkräfte zu kaufen; aber,
sensibilisiert wie er war durch Hedleys Erlebnisse auf der Krim,
hatte er davon wieder Abstand genommen. Ich hatte schon immer eine
gewisse Begabung für Sprachen, und Vater war der vagen Ansicht,
daß mir dies bei Auslandsaufenthalten zugute kommen
könnte. (Da irrte er sich natürlich; Englisch ist
nämlich nach wie vor die Universalsprache der zivilisierten
Welt.)
    Und so wurde ich Diplomat.
    Sie müssen also wissen, daß ich mich damals, im Alter
von dreiundzwanzig Jahren, an der untersten Stufe der diplomatischen
Laufbahn befand. Ich war fünf Fuß und zehn Zoll
groß, von schlanker Statur, blond und glattrasiert – von
akzeptablem Äußeren, wenn ich das so sagen darf, falls
nicht gar bemerkenswert gutaussehend. Ich war noch
Berufsanfänger, und trotzdem langweilte mich die Arbeit schon,
die überwiegend darin bestand, in einem überfüllten
Büro tief im Inneren von Whitehall am Schreibtisch zu sitzen und
Akten zu verschieben. (Ich hatte eigentlich auf einen Posten in
Manchester, der Hauptstadt, spekuliert, doch bald wurde mir klar,
daß London ungeachtet seines abgewerteten nationalen Status
noch immer der administrative Mittelpunkt des Empire war.) Wie hatte
ich mich auf meine erste Abkommandierung nach Übersee gefreut!
Während ich detachiert auf das Löschpapier starrte,
flanierte ich im Geiste vor den juwelenbesetzten Palästen der
Raj-Prinzen; ich stellte mich den wilden Indianern Kanadas mit keiner
anderen Bewaffnung als Behördenstempeln und Heftklammern; und
meine Teetasse war ein Schoner, mit dem ich im Kielwasser von Cook in
die Arme von dunkelhäutigen Südseeschönheiten
segelte.
    Bei dieser Beanspruchung kam ich natürlich kaum zum Arbeiten;
und der Blutdruck von Mr. Spiers, meinem Vorgesetzten, stieg bald
gefährlich an.
    Deshalb war ich mehr als erfreut, als mein Fremdsprachentalent mir
eine Exkursion zur Eröffnung der Neuen Großen Ausstellung
verschaffte.
    Spiers beugte sich mit vom Gin aufgedunsenen Backen über
meinen tintenbeklecksten Schreibtisch, wobei sich sein
kläglicher kleiner Seehundsbart über dem Mund verzog.
»Ihr werdet zur preußischen Abordnung abgestellt«,
verkündete er. »Soweit ich

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