Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
eine
Flüssigkeit absonderten, und ich verstummte wieder. Aber, Vater,
bald bemerkte ich, daß ich wieder einmal unverdientes
Glück gehabt hatte; denn die Hand hatte die Augen vor der
schlimmsten Blendwirkung des Lichts bewahrt, während um mich
herum die Kameraden sich auf dem Boden krümmten und die
Hände auf die verbrannten Augen drückten. Dann – nur
wenige Sekunden nach diesem heftigen optischen Paukenschlag –
folgte ein Wind wie der Atem Gottes. Ich wurde
zurückgeschleudert und schob die versengte Hand in die Uniform,
um sie zu schützen; ich preßte mich in einem Sturm aus
Staub auf den Boden und schrie gegen den Wind an.
    Die Hitze war erstaunlich.
    Lange Minuten später legte sich dieser Orkan, und ich kam
taumelnd auf die Füße. Männer, verbrannt und weinend
– Waffen – die Überreste von Zelten – scheuende
Pferde – alles war über das Gelände verstreut wie die
Spielsachen eines übellaunigen Riesenbabys. Vater, in einem
Umkreis von einer Viertelstunde war unser Lager viel schlimmer
verwüstet, als es den Russen, der Dame Cholera oder den
Generälen Januar und Februar bisher gelungen wäre.
    Mittlerweile stieg über Sewastopol eine schwarze
pilzförmige Wolke gen Himmel.
    Ein Kamerad lag weinend neben mir, wobei seine Augen Höhlen
mit einer trüben Flüssigkeit waren – sie erinnerten
mich auf schreckliche Art an die Augen einer gedünsteten
Forelle. Während der nächsten Minuten kniete ich neben ihm
und hielt seine Hand, wobei ich ihm stumm den Trost spendete, den ich
aufbringen konnte. Dann kam ein Offizier vorbei – seine Uniform
war versengt und nicht mehr zu identifizieren, aber die Reste eines
Säbels baumelten noch an der Hüfte –, und ich rief ihn
an. »Was haben sie uns nur angetan, Euer Ehren? Ist das eine
teuflische neue Waffe der Kosaken?«
    Er blieb stehen und schaute auf mich herab. Er war ein junger
Mann, aber dieses infernalische Licht hatte Altersfalten in sein
Gesicht gegraben; und er sagte: »Nein, Kamerad, nicht die
Kosaken; das war eine unserer eigenen Waffen.«
    Zunächst verstand ich ihn nicht, aber er zeigte auf die sich
auflösende Wolke über Sewastopol, und allmählich
begriff ich die verblüffende Wahrheit: Daß diese eine
Granate des Ingenieurs beim Einschlag in Sewastopol eine derart
gewaltige Explosion verursacht hatte, daß sogar wir – in
einer Entfernung von drei Meilen – noch außer Gefecht
gesetzt worden waren.
    Offenkundig war die Sprengkraft des neuartigen Projektils
drastisch unterschätzt worden; andernfalls hätten wir
sicherlich in unseren Schützengräben und Unterständen
Deckung gesucht.
    Langsam bemerkte ich, daß die russischen Geschütze, ein
konstantes Orchester seit meiner Ankunft auf der Halbinsel, verstummt
waren. Hatten wir unser Hauptziel also erreicht? Mit diesem einen,
einzigen, vernichtenden Schlag Sewastopol gelähmt?
    Ein Anflug des Überschwanges, des Sieges, durchlief mich;
aber die Schmerzen, die mich umgebende Zerstörung und dieser
dräuende Hammer über Sewastopol versetzten mich schnell
wieder in eine gedrückte Stimmung; und von denjenigen, die noch
neben mir standen, vernahm ich kein einziges Wort der Freude.
    Es war erst sieben Uhr dreißig.
    Die Offiziere organisierten uns schnell. Diejenigen von uns, die
noch halbwegs einsatzfähig waren – zu denen auch ich
gehörte, Vater, nachdem meine Hand mit Salbe behandelt,
bandagiert und in einen dicken Schutzhandschuh gesteckt worden war
–, wurden zur Versorgung der anderen herangezogen. Wir bauten
die Zelte wieder auf und richteten das Lager so weit her, daß
es wieder Ähnlichkeit mit einer britischen
Militäreinrichtung aufwies.
    Dann formierten sich die Reihen der Lazarettkarren.
    Auf diese Art wurden wir bis Mittag evakuiert, als die Sonne schon
hoch im Zenit stand. Ich saß im Schatten, wobei salziger
Schweiß in die Wunden rann, aß Rindfleisch und nippte mit
aufgesprungenen Lippen an Wasser.
    Obwohl die pilzförmige Wolke sich jetzt aufgelöst hatte,
schwiegen die russischen Geschütze in Sewastopol noch immer.
    Gegen vierzehn Uhr erhielten wir den Befehl zum Sturmangriff.
Aber, Vater, das sollte ein seltsamer Angriff werden: Ja, wir
ergriffen unsere Gewehre und Munition; aber wir nahmen indessen auch
Spaten, Hacken und andere Werkzeuge und luden alles an Decken,
Verbandszeug, Medikamenten und Wasser auf die Wagen, was wir
erübrigen konnten.
    Und so nahmen wir die letzten drei Meilen nach Sewastopol in
Angriff.
    Ich schätzte, daß wir zwei Stunden

Weitere Kostenlose Bücher