Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
befürchte ich.«
    »Ich bin sicher, daß es unangenehmere Verpflichtungen
gibt.«
    »Und Ihr?«
    »Nur zum Vergnügen«, sagte sie mit frivoler und
etwas gelangweilter Stimme. »Dies ist einer der Höhepunkte
der Saison; und bald werde ich nach Belgien eilen, um dem Stapellauf
der Prince Albert beizuwohnen. Ihr Briten gebt wirklich gute
Parties dieser Tage.«
    »Und wenn alle Gäste so charmant sind wie Ihr, ist es
der Mühe sicher wert.«
    Sie hob die Augenbrauen angesichts dieses plumpen Kompliments.
»Werdet Ihr auch dem Stapellauf der Albert beiwohnen, Mr.
Vicars?«
    Ich runzelte die Stirn. »Ich befürchte, daß mein
Auftrag bei Herrn Bismarck mich bis nach dem Stapellauf
beschäftigen wird. Aber«, setzte ich hastig nach,
»vielleicht könnten wir…«
    Aber ich konnte die Konversation mit dieser interessanten Fremden
nicht fortführen, denn zu den Klängen eines Chorals, die
sich an den Glaswänden brachen, defilierte die königliche
Prozession gravitätisch über eine kleine Treppe zu dem
Podest hinauf. Seine Kaiserliche Majestät deroselbst war eine
schmucke Gestalt in Schwarz, die inmitten der purpur- und
silberfarbenen Uniformen fast unterging. Ein Stück hinter Edward
ging Gladstone, der Premierminister, dessen grauer Anzug dröge
wirkte angesichts dieses ganzen Lamettas.
    Der Chor verstummte, und die letzten Echos prallten von den
Fenstern ab wie Vögel. Dann trat der Erzbischof von Canterbury
vor, in vollem Ornat, und rief uns mit sonorer Stimme zum Gebet.
    Eine andachtsvolle Stille legte sich über die große
Gemeinde.
    Dann erhob sich Edward selbst. Ich stand an der Peripherie dieses
riesigen Gebäudes, aber dennoch konnte ich sehen, wie er den
Zwicker geraderückte und ein kleines Notizbuch ergriff. Er
sprach leise, und trotzdem schien seine Stimme die große
gläserne Halle auszufüllen.
    Mit klaren und unprätentiösen Worten erinnerte er an die
erste Ausstellung von 1851, die, wie die jetzige, den Anspruch
erhoben hatte, »eine Synthese zwischen der Kunst und den
größten technischen Errungenschaften« darzustellen.
Diese frühere Messe war von Edwards Vater, dem Prinzregenten
Albert, inspiriert worden, der zwischenzeitlich an Typhus verstorben
war; und Edward merkte an, wie stolz Albert gewesen wäre, am
heutigen Tage unter ihnen weilen zu können.
    Während der Rede des Königs überkam mich ein
Gefühl der Detachiertheit. Staatsoberhäupter wie Bismarck
und Grant standen respektvoll da, hier im Herzen des mächtigsten
Empire, das die Welt je gesehen hatte: Ein Empire, dessen Schiffe die
Meere beherrschten und dessen auf Anti-Eis basierende mechanische
Wunder auf dem ganzen Globus zu finden waren.
    Und dennoch wurde dieses mächtige Land nur von einem
dürren, ziemlich nichtssagend aussehenden jungen Burschen
repräsentiert, der leise von seinem dahingeschiedenen Vater
sprach.
    Seine Majestät schloß die Ansprache und zog sich
zurück, und der Chor stimmte in das Halleluja ein.
    Françoise beugte sich dicht zu mir herüber und
murmelte durch die Musik: »Eine ziemlich schwache Vorstellung
von eurem neuen König.«
    »Wie bitte?«
    »Die Geschichten von diesem jungen Edward, mit seiner Clique
von wohlhabenden Freunden wie diesem Lipton, sind – wie
heißt das Wort? Ein Sybarit? Ein solch seichter Hedonist
harmoniert so gut mit der Sorte von Leuten, die heutzutage in eurem
Land das Sagen haben – ich meine die Industriellen –, wie
seine Mutter es nie konnte.«
    »Victoria dankte nach dem Tode ihres Gatten ab«,
erwiderte ich ein wenig steif, »und nach dem plötzlichen
Rücktritt von Disraeli vor zwei Jahren. Und was Edward
betrifft…«
    Aber sie hatte ihre feuchten Lippen schon verführerisch
– aber spöttisch – zu einem Schnütchen verzogen.
»Oh, bin ich Euch etwa zu nahe getreten? – Nun, ich
entschuldige mich. In einer Hinsicht hat Edward nämlich doch
recht: Daß Albert stolz gewesen wäre, das zu sehen. Und
noch stolzer beim Anblick des anstößigen Verhaltens eurer
Parlamentarier.«
    Ihr Parfum wallte durch meinen Kopf, und ich bemühte mich,
die Artikulationsfähigkeit zu bewahren. »Wie meinen,
Mam’selle?«
    Sie fuhr mit dem Handschuh durch die Luft. »Françoise,
bitte. Eure Parlamentarier hatten sich gegen Alberts erste
Ausstellung ausgesprochen; und als sie dann den Erfolg sahen,
überschlugen sie sich schier bei der Billigung weiterer solcher
Veranstaltungen.« Sie schaute mich mokant an, und zwei kleine
Falten erschienen über ihrer Stupsnase. »Der Zweck

Weitere Kostenlose Bücher