Anti-Eis
solcher
Messen ist Euch doch bekannt, Mr. Vicars, nicht wahr?«
»Wie Seine Majestät bereits darlegte, eine Feier
der…«
Erneut wedelte sie mit dem Handschuh, diesmal etwas ungeduldiger.
»Um den Handel anzukurbeln, Mr. Vicars. Eure Kristall-Kathedrale
ist ein riesiges Schaufenster für eure wundervollen britischen
Waren.«
Während mein dumpfes Hirn sich anstrengte, die Konversation
fortzusetzen, berührte Françoises Begleiter sie am Arm.
»Wir dürfen Euren neuen Freund nicht aufhalten, meine
Liebe.« Er sprach mit starkem Akzent und musterte mich mit einem
Fischblick. »Ich bin sicher, daß er Verpflichtungen
hat.«
Wir stellten uns einander förmlich vor – er erwies sich
als ein Frédéric Bourne, ein junger französischer
Aristokrat ohne bestimmte Berufsausübung – und das
Händeschütteln fiel noch steifer aus.
Françoise beobachtete das mit distanziertem Amusement.
Die Musik war verklungen; die Bediensteten entfernten die
Seilabsperrungen, und die Reihen der Würdenträger
lösten sich auf. Ich wandte mich noch einmal Françoise
zu: »Es hat mich gefreut, Eure Bekanntschaft zu
machen.«
»Ganz meinerseits«, sagte sie hastig auf
französisch. »Ich bin nur froh, daß Ihr nicht zu
dieser Delegation von deutschen Schweinen gehört.«
Diese Worte schockierten mich. »Mam’selle«,
protestierte ich in ihrer Sprache, »Ihr vertretet aber deftige
Ansichten.«
»Überrascht Euch das etwa?« In formvollendeter
Manier hob sie eine Augenbraue. »Ihr seid Diplomat, Sir; dann
versteht Ihr doch sicherlich auch die Bedeutung der Emser
Depesche!«
Tatsächlich war dieses Dokument damals in Europa in aller
Munde. Zwischen Frankreich und Preußen hatte sich ein Zwist
entsponnen, weil König Wilhelm einen Verwandten, Prinz Leopold
von Hohenzollern, als Kandidat für den spanischen Thron
vorgeschlagen hatte (den zuvor die skandalös promiskuöse
Königin Isabella innegehabt hatte). Frankreich hatte
natürlich heftig protestiert; die persönliche Vorsprache
des französischen Botschafters war bei Wilhelm jedoch auf taube
Ohren gestoßen. Nun hatten die Preußen ihre Vorstellungen
auf provozierende Art und Weise in der berühmten Emser Depesche
veröffentlicht.
»Dieses Dokument«, sagte das Mädchen, »ist
eine Beleidigung Frankreichs.«
Ich lächelte, nachsichtig, wie ich hoffte. »Meine liebe
Mam’selle, derlei antike Probleme wie die spanische Thronfolge
sind kaum noch von Belang in der modernen Welt.« Ich deutete auf
die uns umgebenden Wunder. »Und das hier, Mam’selle, ist
die moderne Welt!«
Sie runzelte die Stirn. »Ach ja? Ihr solltet mich nur nicht
wie ein Dummchen behandeln, Sir. Selbst der naivsten Person
müßte doch klar sein…« – ich errötete
–, »…daß die spanische Thronfolge in der Tat
kaum Relevanz aufweist, aber unter diesem Vorwand will der
verschlagene Bismarck Frankreich nur zum Krieg provozieren.«
Ich beugte mich zu ihr hinüber und vermittelte ihr leise den
Standpunkt des Britischen Diplomatischen Corps. »Ehrlich gesagt,
Mam’selle, sind die Preußen Witzfiguren, trotz ihres
bräsigen Auftretens.« Ich zählte die Punkte an den
Fingern ab. »Zunächst einmal verfügt Frankreich
über die stärkste Armee in Europa. Zum zweiten leben wir im
Zeitalter der Rationalität. Es existiert ein Gleichgewicht der
Kräfte, das auf dem Wiener Kongreß begründet wurde,
der vor fünfzig Jahren, nach Bonapartes Sturz, tagte;
und…«
Sie brachte mich mit einer Handbewegung zum Verstummen.
»Bismarck ist ein Opportunist. Er schert sich keinen Deut um
Euer Gleichgewicht; seine Motivation speist sich aus seinen
Ambitionen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Aber was hätte er bei
einem Krieg gegen Frankreich wohl zu gewinnen?«
»Das müßt Ihr ihn schon selbst fragen, Mr. Vicars.
Was Frankreich betrifft, so wißt Ihr sicher, daß wir
bereits mobil gemacht haben.«
Mein Kiefer klappte herunter wie ein Fischmaul.
»Aber…«
Aber der dunkle Bourne faßte sie erneut am Ärmel, und
sie beendete unsere Unterhaltung galant. Ich verwünschte mich
selbst. Wie hatte ich diese aussichtsreiche Konversation nur in die
Untiefen der Hohenzollern-Thronfolge abgleiten lassen können!
Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht?
Ich rief ihr nach: »Vielleicht sehe ich Euch noch später
am Tag…?«
Aber da war sie bereits in der auseinanderstrebenden Menge
verschwunden.
Die Exponate waren auf dem Boden der Kathedrale ausgebreitet
– sowie auf der an der Wand entlanglaufenden Galerie – und
mit
Weitere Kostenlose Bücher