Anti-Eis
zu betätigen.«
Nun wandten sich die Preußen in ihrem Bestreben,
möglichst unbeeindruckt zu wirken, gelangweilt einem anderen
Exponat zu, einer Sammlung von Photographien. Traveller stand allein
da, wobei sein hageres Gesicht ausdruckslos war; und ich ging spontan
auf den Ingenieur zu. »Sir Josiah«, sagte ich – und
verfiel dann in Konfusion, weil der Blick, der über diesen
Platinzinken nach unten schwenkte, gleichermaßen
verächtlich und fragend war. »Verzeihung, Sir«, fuhr
ich fort und stellte mich vor.
Er nickte knapp. »So, Herr Diplomat«, bemerkte er,
»und welche diplomatischen Perspektiven eröffnen sich nun
bei diesen Spielsachen, die ich ausgestellt habe?« Seine Stimme
klang wie das Grummeln einer riesigen Dampfmaschine, und ich fragte
mich, ob die Unfälle, die ihn so gezeichnet hatten, den Hals und
die Lunge auch so versengt hatten wie das Gesicht.
»Spielsachen, Sir?« Ich wies auf die eleganten Konturen
der Schwebebahn-Lokomotive, die in das blaue Licht der Kathedrale
getaucht war. »Hierbei handelt es sich doch um die Leistungen
moderner rationaler Mechaniker, verbunden mit dem Potential von
Anti-Eis…«
Er beugte sich dicht zu mir herunter. »Spielzeug, mein
Junge«, sagte er. »Spielzeug für Leute wie Eure
Preußen. Solange sie sich nämlich damit befassen, wird es
ihnen wahrscheinlich nicht in den Sinn kommen, mein Anti-Eis zu
anderen, übleren Zwecken zu verwenden.«
Ich glaubte zu verstehen. »Ihr spielt auf die Krim an,
Sir.«
»Das tue ich.« Er betrachtete mich mit einem Anflug von
Neugier. »Die meisten Burschen Eures Alters wissen nämlich
so wenig von diesem grausigen Feldzug wie von Cäsars gallischen
Kriegen.«
»Ich schon.« Ich beschrieb ihm die Erlebnisse meines
Bruders Hedley. Ich erzählte ihm, daß mein Bruder
vernarbt, aber heil, nach England zurückgekehrt war, wieder in
mein Elternhaus, Sylvan, gezogen war und heute den ruhigen
Beruf eines Buchhalters ausübte. Er hatte schließlich die
Dame geheiratet – eine ehemalige Küchenhilfe –, mit
der er einst eine unschickliche Liaison gehabt hatte und sich
deswegen veranlaßt sah, die Heimat zu verlassen und am
Krimkrieg teilzunehmen. Hedley hatte mir erzählt, wie er
Travellers Reaktionen auf den Einsatz von Anti-Eis beurteilt hatte.
Traveller hörte aufmerksam zu. »Und so«, endete ich,
»habt Ihr nach Sewastopol beschlossen, Anti-Eis nur noch
für friedliche Projekte zu verwenden.«
Er nickte, und seine blauen Augen glichen Diamanten.
»Aber«, fuhr ich fort, »Sir Josiah, wir sind hier
in England und nicht in Preußen. Ihr müßt sicher
nicht befürchten, daß die britische Regierung einen
erneuten Einsatz von Anti-Eis für einen solchen Zweck verlangen
würde…«
»Ich glaube«, unterbrach er mich, wobei sein Blick von
mir abglitt, »daß Eure Preußen ihre Besichtigung
abgeschlossen haben. Vielleicht solltet Ihr Euch ihnen wieder
anschließen.«
In der Tat zogen Bismarck und sein Gefolge sich majestätisch
von dem Arrangement mit den Photographien zurück. Ich suchte
nach einem Schlußwort, um mich von Traveller zu verabschieden,
und sprach: »Eine bemerkenswerte photographische
Ausstellung.« Im Grunde war das Dargebotene jedoch ziemlich
verwirrend; ich betrachtete eine Reihe gekrümmter, heller
Flächen, die sich von einem schwarzen Hintergrund abhoben.
Erneut beugte Traveller sich zu mir hinunter. »In der Tat
bemerkenswert. Wißt Ihr denn auch, was sie
darstellen?«
Ich gestand meine Unwissenheit.
»Den Planeten Erde«, flüsterte Traveller, »aus
einer Höhe von fünfhundert Meilen.«
Mein Mund klappte auf, und ich versuchte eine Frage zu
formulieren; aber Traveller hatte sich bereits abgewandt, und ich
konnte nur noch sehen, wie sein steifer Rücken in der Menge
verschwand.
Die Preußen waren stolz vor den von ihrem Heimatland
gestifteten Exponaten angetreten, und ein Photograph duckte sich
unter seiner Kapuze aus schwarzem Samt. Bismarck winkte mir zu.
»So, Herr Vicars«, sagte er, »seid Ihr denn nicht
davon beeindruckt, was wir Deutschen der Welt zu geben
haben?«
»Sir, Eure Ausstellungsstücke zeigen einen hohen Stand
der Ingenieurskunst«, stammelte ich.
Er neigte den Kopf und seufzte gekünstelt. »Wir armen
Deutschen verfügen nicht über euer Anti-Eis, mit dem ihr
herumspielen könnt; und daher müssen wir das durch bessere
Ingenieure, bessere Techniker und bessere Produktionsverfahren
ausgleichen. Was, Herr Vicars?«
Ich errötete hilflos und suchte nach einer Antwort auf
Weitere Kostenlose Bücher