Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
nicht anzuspannen. Jede akustische, optische oder sonstige Ablenkung musste vermieden werden. Am Fußende der Couch lag eine Decke, mit der er sich die Füße zudecken konnte. Auch der Analytiker machte es sich bequem. Von der ersten Sitzung an motivierte er den Patienten zum freien Sprechen ohne Zwänge und ohne Sorge um den Zusammenhang. Er sollte unkontrolliert und unzensiert genau das ausdrücken, was ihm gerade durch den Kopf ging. Mit dem Beginn der Analyse musste der Patient
außerdem aufhören, Medikamente zu nehmen. Und selbstverständlich hatte während der Sitzungen niemand sonst Zutritt zum Behandlungszimmer. Von dieser Regel gab es keine Ausnahme.
Freuds Methode ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, die von Breuer und Charcot beeinflusst wurde. Die Couch gab es schon ab 1893, als Freud mit Breuer zusammenarbeitete. In Zur Einleitung der Behandlung beschrieb Freud das »Zeremoniell [ sic ] der Situation, in welcher die Kur ausgeführt wird.« (Bd. VIII, S. 467) Nämlich: »Ich halte an dem Rate fest, den Kranken auf einem Ruhebett lagern zu lassen, während man hinter ihm, von ihm ungesehen, Platz nimmt. Diese Veranstaltung hat einen historischen Sinn, sie ist der Rest der hypnotischen Behandlung, aus welcher sich die Psychoanalyse entwickelt hat.« (ebd.) Freud erklärte dieses Arrangement damit, dass er nicht täglich mindestens acht Stunden lang angestarrt werden wollte und dass der Patient seine Mimik so nicht sehen könne. Dies war wichtig – so die offizielle Version –, damit dessen Unbewusstes nicht durch an der Mimik ablesbaren Reaktionen des Analytikers beeinflusst würde. Die inoffizielle und weit trivialere Begründung lieferte Freud in einem Brief an Fließ vom 15. März 1898: »[I]ch schlafe bei den Nachmittagsanalysen« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 331). Das konnten auch seine Patienten bezeugen; Helen Deutsch zum Beispiel, die später selbst Psychoanalytikerin wurde und berichtete, Freud sei während der Behandlung mindestens zweimal eingeschlafen.
Ist es schlimm, wenn der Analytiker einschläft, obwohl er für das Zuhören bezahlt wird? Freud hielt dies nicht für ein Problem. Wie für jede grundlegende Schwäche seiner Theorie fand er auch hier eine Rechtfertigung. Der Analytiker könne schlafen, da er »sich seines Unbewußten in solcher Weise als Instrument bei der Analyse« bediene ( Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung, Bd. VIII, S. 382) – und eben nicht seines Bewusstseins. Freud erklärte nicht, wie das Unbewusste funktioniert,
während der Analytiker schläft. Wie immer haben wir es hier mit dem Prinzip der magischen Kausalität zu tun. Während der Analyse kommuniziert ein Unbewusstes mit dem anderen – nach undurchschaubaren Gesetzen.
Und Freud entwickelte noch eine andere Theorie zur Rechtfertigung seiner Schläfchen hinter der Couch: Der Analytiker müsse sich gar nicht hellwach auf alles konzentrieren, was der Patient sagt, er müsse nicht darauf achten, bloß kein Detail zu verpassen. Auch Notizen seien unnötig, denn das Kratzen des Stifts auf dem Papier könne den Patienten stören und dessen Aussagen verfälschen, weil dieser glaube, es würden wichtige Informationen notiert. Vielmehr müsse der Analytiker eine »gleichschwebende Aufmerksamkeit« (ebd., S. 377) an den Tag legen und sich auf nichts Besonderes konzentrieren. Diese gleichschwebende Aufmerksamkeit sei nötig, da ein Tag voller Analysen – acht Stunden, wenn man Freud Glauben schenkt – eine konstante Aufmerksamkeit ohnehin unmöglich mache.
Der Analytiker konzentriert sich also auf nichts Spezielles im Wortfluss seines Patienten, und zwar aus dem guten Grund, dass er nicht weiß, was wichtig sein könnte. Er lässt sich überraschen. Freundlichkeit ist strikt verboten, denn der Meister ist nicht da, um jemandem zu gefallen. Mit jedem neuen Patienten lässt er sein »unbewusste[s] Gedächtnis« arbeiten (ebd., S. 387) und kann, wenn nötig, abends das eine oder andere notieren, was ihm wichtig erscheint.
Was geschah in den ersten Augenblicken einer Analyse in Freuds Praxis? Was sagte der Analytiker in der ersten Sitzung? Er schlug eine versuchsweise Behandlung von ein bis zwei Monaten Dauer vor, um beurteilen zu können, ob eine vollendete Analyse möglich und sinnvoll sei. Dann einigte er sich mit dem Patienten auf einen Tag und eine Uhrzeit, die von nun an stets eingehalten werden mussten. Jede vereinbarte Sitzung, zu der ein Patient nicht erschien, musste
Weitere Kostenlose Bücher