Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
einer Psychoanalyse unterziehen, was etwas völlig anderes ist. Natürlich entstand die zweite Form aus der ersten.
In Über Psychoanalyse sprach Freud von einer »neuen Untersuchungs- und Heilmethode« (Bd. VIII, S. 3). Die Psychoanalyse sei ein neues Untersuchungsinstrument, eine Psychoanalyse eine Heilmethode, denn – das sagte Freud ganz deutlich – als Therapie könne sie das Leiden heilen (ebd., S. 38). Die Theorie des Seelenlebens, der Ätiologie der Neurosen, der Träume und der Psychopathologie des Alltagslebens lief letztlich auf eine Praxis hinaus, von der Freud behauptet, sie sei das Allheilmittel zur Wiedererlangung der geistigen Gesundheit. Wie wir sehen konnten, hielt die Legende der historischen Überprüfung kaum stand. Doch mehr dazu im nächsten Kapitel.
Freud wollte die Psychoanalyse als eine Wissenschaft unter anderen verstanden wissen. Doch zwischen den Zeilen zeigt sich immer wieder, dass er weniger von wissenschaftlicher Strenge als
vielmehr von Mythen, Legenden und Folklore fasziniert war. In Die Frage der Laienanalyse stellte er seine Lehre in eine unwissenschaftliche, gar antiwissenschaftliche Tradition. Er kam auf die Geschichte von Kronos zurück, der seine Kinder verschlang, und ermittelte mithilfe der Psychoanalyse die Kastration als Ursache. Freud suchte das Licht im Dunkel der Mythen. So erklärt sich der erstaunliche Satz: »Auch hier wird Ihnen die Mythologie Mut machen, der Psychoanalyse zu glauben [ sic ]« (Bd. XIV, S. 240).
Was bedeutet es, der Psychoanalyse zu glauben, wenn ein und derselbe Begriff zwei Bedeutungen hat? Soll man an die Psychoanalyse als Theorie zur Erklärung der Welt glauben? Oder an die Psychoanalyse als Therapie? Soll man an beides glauben, weil es das eine nicht ohne das andere gibt? Soll man glauben, dass Freud in seinen Büchern stets die Wahrheit sagte, worüber auch immer er sprach? Dass er jeden Fall erfolgreich behandelt und geheilt hat, von dem er es behauptet? Dass seine Lehre eine Wissenschaft ist? Und was meinte er überhaupt mit glauben? Spricht man etwa im Zusammenhang mit dem von Kopernikus entdeckten Heliozentrismus genauso von Glauben wie angesichts der biblischen Genesis? Glaubt man an Darwins Evolutionstheorie? Man glaubt an religiöse Dogmen, an den Katechismus – aber kann man an die Psychoanalyse glauben? Das ist eine seltsame Formulierung für einen Mann, der sich bei jeder Gelegenheit als Wissenschaftler bezeichnete. Betrachten wir also, was es bedeutet, an die Psychoanalyse als Therapie zu glauben.
Die Couch war für Freud, was die Tonne für Diogenes war: eine Abkürzung, um mit minimalem Aufwand das Maximale auszudrücken – ein Bild, ein Wort, eine Formel, ein Gegenstand. In den Augen der Öffentlichkeit, die vielleicht gar nichts über Freud und seine Lehre weiß, reduziert sich die Psychoanalyse auf dieses besondere Möbelstück. Es ist ein Bett und doch kein Bett, ein Stuhl, der zu einem Bett wird, ein Boudoirmöbel mit Lehne,
hinter dem ein Mann stand, der nur zuhörte, nichts oder wenig sagte, das Gespräch nach einer Stunde mit einem Blick auf die Pendeluhr beendete, Bargeld einsteckte und auf den nächsten Patienten wartete.
Auf dieser Couch vollzog sich der Übergang vom magischen Denken des Psychoanalytikers zur therapeutischen Praxis. Sie war wie ein fliegender Teppich, der von den performativen Konzepten zur Heilung führte, von den Wörtern zu den Leiden, vom Papier zum Körper, von den Büchern zur Seele, zum Fleisch. Der Patient streckte sich aus, wurde im fruchtwassergleichen Wortstrom zum Uterus seiner Seele getragen und ging gereinigt aus ihm hervor. Freud schrieb, Freud sagte, Freud dachte, Freud glaubte es – also war es die Wahrheit.
Was geschah auf der Couch? Was wurde zwischen dem Analytiker und dem Analysierten ausgetauscht? Wörter. In Die Frage der Laienanalyse bestätigte Freud: »Es geht nichts anderes zwischen ihnen vor, als daß sie miteinander reden.« (Bd. XIV, S. 213) Und genau das ist eine Psychoanalyse: Ein Patient spricht mit jemandem, der schweigt – und damit, so sagt er, behandelt. Der Patient wurde also nicht klinisch untersucht, weder Blutdruck noch Temperatur wurden gemessen, es gab kein Rezept und keine Medikamente, es gab nichts als das Dispositiv, das mit Worten heilen sollte.
Der Patient lag also auf einer Couch mit Kissen, denn er sollte es gemütlich haben – nicht wie im Bett, aber doch komfortabel und entspannt, mit leicht erhöhtem Rücken, um die Muskeln
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