Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
abhängt, plädierte der Wissenschaftler folgerichtig für deren Unwissenschaftlichkeit. In Kopernikus’ Astronomie oder Darwins Evolutionstheorie herrschte weder Bedarf an der berühmten »›persönlichen Gleichung‹« (ebd., S. 250), auf welcher der Erfolg der Psychoanalyse ruht, noch war Platz dafür. Kopernikus’ poetische Begabung oder Darwins dichterisches Genie einzubeziehen, um deren Thesen als wissenschaftliche Wahrheit zu erkennen, entbehrte jeder Grundlage.
Freud stellte sich eine nahe liegende Frage: Wie kann man garantieren, dass der Analytiker kein Scharlatan ist? 1924 war er mit diesem Problem konfrontiert worden. Ein Kollege hatte den Psychoanalytiker Theodor Reik als Scharlatan bezeichnet und dieser war dafür angeklagt worden. In Die Frage der Laienanalyse beschäftigte Freud sich mit diesem Fall. Der Psychoanalytiker Wilhelm Stekel hatte Reik vorgeworfen, als Analytiker zu praktizieren, ohne Mediziner zu sein – in diesem Sinne ist hier der Begriff Laie zu verstehen. Die Affäre schaffte es auf die Titelseiten der Wiener Zeitungen. Freud schickte der Neuen Freien Presse einen Artikel mit der Überschrift Dr. Reik und die Kurpfuschereifrage (1926) und verteidigte darin die Ausübung der Psychoanalyse durch Nichtmediziner – schließlich praktizierte auch seine Tochter Anna, eine Lehrerin.
Für Freud war die Analyse nichts anderes als ein Gespräch
zwischen Patient und Analytiker. Der Psychoanalytiker plädierte für die Macht der Worte, deren Fähigkeit, zu zerstören oder aufzubauen, aber auch deren therapeutische Kraft. Darüber hinaus beharrte er darauf, dass Worte verzaubern könnten, und verteidigte auch die Zauberei selbst: »Wir wollen übrigens das Wort nicht verachten.« ( Die Frage der Laienanalyse, Bd. XIV, S. 214) Und weiter: »Aber das Wort war doch ursprünglich ein Zauber, ein magischer Akt, und es hat noch viel von seiner alten Kraft bewahrt.« (ebd.) Deshalb gleiche der verbale Austausch auf der Couch einem Akt der Zauberei. Der Psychoanalytiker wisse um die Zauberkraft seiner Worte, und er wisse um seine zentrale Rolle bei dieser Zauberei. Der Begründer der Psychoanalyse bestritt also weder diesen Mechanismus, noch lehnte er ihn ab. Ich gehe davon aus, dass Einigkeit darüber besteht, dass die Zauberei normalerweise nicht zum Arsenal eines Wissenschaftlers gehört!
Und was ist überhaupt ein Scharlatan? Für Freud war es jemand, »der Kranke behandelt, ohne sich durch den Besitz eines staatlichen Diploms als Arzt ausweisen zu können.« (ebd., S. 262) Als Zyniker und jesuitischer Sophist schloss Freud, dass nach dieser Definition »die Ärzte zu den Kurpfuschern in der Analyse ein überwiegendes Kontingent darstellen.« (ebd.) Das war eine interessante Umkehrung: Bei der Behandlung der Geisteskrankheiten seien Ärzte meist Kurpfuscher, während eine Lehrerin die Disziplin revolutionieren könne.
Wer entschied eigentlich darüber, ob jemand ein Scharlatan war oder nicht? Natürlich Freud selbst, denn er bestimmte, wer Analytiker werden konnte und wer nicht. Theoretisch musste nach Freuds Lehre jeder Analytiker selbst analysiert worden sein, doch praktisch entschied Freud zum Beispiel, dass Persönlichkeiten wie Karl Abraham, Arzt und Begründer der Berliner Psychoanalytischen Gesellschaft und Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, oder Otto Rank es nicht nötig hatten, sich auf die Couch zu begeben. Sie durften auch so
Patienten behandeln und wurden dennoch nicht als Scharlatane gebrandmarkt.
Der Psychoanalytiker Otto Rank zeigte Verhaltensauffälligkeiten und litt an einer Kontaktphobie, die ihn zwang, unablässig Handschuhe zu tragen. Doch das spielte keine Rolle: Er war ein getreuer Schüler, hatte seinem Lehrer Freud sogar sein Werk Das Trauma der Geburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse gewidmet, war Sekretär der Psychoanalytischen Vereinigung und gehörte dem Geheimkomitee an – also war Rank, analysiert oder nicht analysiert, kein Scharlatan. Als er jedoch später von Freuds Lehre abwich, änderte sich das. Freud unterzog ihn einer schlampigen Analyse, stellte mentale Probleme fest und schloss den ehemaligen Schützling von der psychoanalytischen Praxis aus.
Der Staat hatte sich aus den Interna der Psychoanalytiker herauszuhalten. Die Psychoanalytische Vereinigung unterstand nicht dem Gesetz. Bewertungen des Nutzens der Psychoanalyse von außerhalb waren null und nichtig; Statistiken über deren Wirksamkeit undenkbar (siehe
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