Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
bezahlt werden. In schweren Fällen gab es eine Sitzung täglich, außer sonntags und an Feiertagen. Weniger
problematische Fälle behandelte Freud seltener, zum Beispiel dreimal pro Woche. Und bei Gustav Mahler genügten dem Meister einige Stunden während eines gemeinsamen Spaziergangs.
Freud betonte, der Patient könne die Analyse jederzeit und ohne Begründung von sich aus beenden. Dieser Fall war natürlich von der Beendigung der Therapie durch den Analytiker zu unterscheiden. Laut Die Freudsche psychoanalytische Methode dauerten die Behandlungen meist »ein halbes Jahr bis drei Jahre« (Bd. V, S. 10). Auch der Analytiker konnte die Therapie nach Belieben abbrechen. Der berühmte Wolfsmann wurde allerdings über ein Vierteljahrhundert lang analysiert.
Wer kam für eine Analyse bei Freud infrage? Bestimmten Personen riet er davon ab, nämlich Verwirrten, Melancholisch-Depressiven, nicht ausgebildeten Charakteren, Menschen mit schwacher Konstitution, solchen ohne Sinn für Moral oder mit geringer Intelligenz, über Fünfzigjährigen (ein Mindestalter gab es jedoch nicht), Menschen, die von Dritten zur Analyse überredet worden waren, und magersüchtigen Hysterikerinnen. In Das Interesse an der Psychoanalyse betonte Freud: »Bei den schweren Formen der eigentlichen Geistesstörungen leistet die Psychoanalyse therapeutisch nichts.« (Bd. VIII, S. 390) Man sieht, dass Freud sehr vorsichtig war und viele Menschen ausschloss, was zu dem nicht ganz falschen Bonmot führte, die Psychoanalyse heile nur die Gesunden.
Bestätigt wird es durch ein Zitat aus Über Psychotherapie: »Erfreulich ist es, daß man gerade den wertvollsten und sonst höchstentwickelten Personen auf solche Weise am ehesten Hilfe bringen kann.« (Bd. V, S. 22) Bescheidener als sonst fuhr Freud fort: »Wo aber mit der analytischen Psychotherapie nur wenig auszurichten war, da, darf man getrost behaupten, hätte irgendwelche andere Behandlung sicherlich [ sic ] gar nichts zustande gebracht [ sic ].« (ebd.) Freuds Psychoanalyse heile demnach nicht jeden, doch wen sie nicht heile, dem könnten auch andere nicht helfen; darüber hinaus sei sie erfolgreicher als andere Methoden.
Doch es gab noch eine weitere Gruppe von Menschen, die ungeeignet für eine Analyse war: die Armen. In diesem Punkt war Freud wahrhaft zynisch. Eine solche Behandlung wäre viel zu teuer – wie wir noch sehen werden, gewährte er niemandem Nachlass, denn wer große Summen zahlte, der zeigte vollen Einsatz und sicherte so den Behandlungserfolg! Einfache Arbeiter oder Arbeitslose konnten sich das natürlich nicht leisten. Zumal Freud der Theorie anhing, die Armen seien zum Arbeiten gezwungen und hätten deshalb weniger Zeit, Neurosen zu entwickeln!
Noch zynischer war Freuds Überlegung, »daß der Arme, der einmal eine Neurose zustande gebracht hat, sich dieselbe nur sehr schwer entreißen läßt. Sie leistet ihm zu gute Dienste im Kampfe um die Selbstbehauptung; der sekundäre Krankheitsgewinn, den sie ihm bringt, ist allzu bedeutend. Das Erbarmen, das die Menschen seiner materiellen Not versagt haben, beansprucht er jetzt unter dem Titel seiner Neurose und kann sich von der Forderung, seine Armut durch Arbeit zu bekämpfen, selbst freisprechen.« ( Zur Einleitung der Behandlung, Bd. VIII, S. 466) Zuvor hatte Freud bekannt: »Man kann der asketischen Verdammung des Geldes ganz ferne stehen und darf es doch bedauern« (ebd.).
Da er die Armen und Kranken ausschloss und die Gebildeten, Gutsituierten, also das reiche Wiener Großbürgertum bevorzugte, stellte sich bei der Therapie natürlich leichter ein Erfolg ein. Worin dieser bestand, erklärte Freud in den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse: Der Patient müsse Vertrauen haben sowie geduldig, fügsam und beständig sein. Er müsse sich dem Analytiker ganz anvertrauen und an ein gutes Ende der Behandlung glauben. Man könnte das auch so formulieren: Damit der Patient geheilt wird, muss er daran glauben, dass der Therapeut ihn heilen wird.
In Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie konnte Freud »die Vermehrung unserer therapeutischer Chancen […] ermessen, wenn sich das allgemeine Vertrauen uns zuwendet« (Bd. VIII, S. 110). Der Therapeut muss Autorität ausstrahlen,
genau wie ein Zauberer, Hexer oder Schamane. Freud war der Meinung, seine ersten Patienten hätten sehr wahrscheinlich angesichts seiner bescheidenen Praxis und fehlender akademischer Titel geglaubt, er könne kein guter Arzt
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