Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
sein, denn wäre er einer gewesen, hätte er Geld verdient und wäre besser situiert gewesen.
Was machte Freud zufolge einen guten Analytiker aus? Misserfolge der Psychoanalyse waren schließlich nicht dieser selbst anzulasten, sondern dem Patienten, der nicht ausreichend an sie glaubte. In Die Frage der Laienanalyse heißt es klar und deutlich: »Der Neurotiker macht sich an die Arbeit, weil er dem Analytiker Glauben [ sic ] schenkt« (Bd. XIV, S. 256). Dennoch spielten die »persönlichen Eigenheiten« (ebd., S. 249) des Therapeuten eine wichtige Rolle, benötigte er doch eine »gewisse Feinhörigkeit« (ebd.), die er nur durch die analytische Praxis erlangen könne.
Freud war zwei Jahre lang ausgebildet worden und hatte die psychoanalytische Technik erlernt, nicht aber durch ein theoretisches Studium, sondern indem er selbst von einem Psychoanalytiker analysiert worden war. Man konnte also Analytiker werden, indem man in gewisser Weise die Position des Sohns eines symbolischen Vaters einnimmt. Später kamen bei Freud dann allerdings die Frauen hinzu, erst Lou Andreas-Salomé, dann Marie Bonaparte und einige andere. Die Verbindung zu einem solchen symbolischen Vater war die einzige Vaterschaft, die der vom Vatermord besessene Freud akzeptierte. Die Analytiker reproduzierten sich also durch Kooptation. Wer sich auf die Couch begeben hatte, kannte sein Unbewusstes in- und auswendig und lief nicht mehr Gefahr, den eigenen Fall auf die Patienten zu projizieren. Ein Psychoanalytiker, der über den eigenen Ödipuskomplex, eventuelle Kindheitstraumata, die Stadien seiner sexuellen Entwicklung und die Details seines Seelenlebens Bescheid wusste, war davor gefeit, die eigenen Neurosen auf den Patienten zu übertragen.
Die Analytiker wurden also von Analytikern analysiert, die
selbst analysiert worden waren. Innerhalb dieser inzestuösen Reproduktionskette blieb man unter sich, man war eine Familie – so sind auch die Psychodramen zu erklären, die sich schon bald um die rebellischen Kinder Jung und Ferenczi abspielten. Nach dem Prinzip der mythischen Genealogie war Freud der Familiengründer; er war Adam, der Vater aller Kinder und ein Doppelgänger des Vaters der Urhorde. Ein Vater, zu dem man alle fünf Jahre zurückkehrte, um sich erneut analysieren zu lassen.
Der Analytiker hielt sich getreulich an Freuds Lehre und Methode, welche die Objektivität der Analyse garantieren sollte. Doch die ewige Wiederholung und Ritualisierung dessen, was Freud als eine Art heilige Zeremonie bezeichnete, führte auch zu so etwas wie Erstarrung. Der Mann, der eines Tages das Wort ergreifen und das Ende der Therapie verkünden sollte, sprach während der Analyse so wenig wie möglich. Er mischte sich kaum oder wenig ein. Er stellte keine Fragen. Er versuchte nicht, dem Patienten etwas zu entlocken. Ratschläge erteilte er nur in Ausnahmefällen. Und doch verhielt sich Freud in dieser Frage, wie so häufig, nicht besonders freudianisch und gab seinen Patienten regelmäßig Ratschläge für den Alltag mit auf den Weg.
Woher wissen wir, dass sein Schweigen angebracht war oder er seine wenigen Worte im richtigen Moment aussprach? Dies sei eine »Sache eines Takts« (ebd., S. 250), der damit erneut an das Tierische im Therapeuten appellierte. Denn bereits die Feinhörigkeit gehörte zu den Talenten, die Freud in Das Unbehagen in der Kultur den ersten Menschen zuschrieb. All diese Eigenschaften versammelte er unter dem vagen, rein subjektiven und völlig unwissenschaftlichen Oberbegriff der »›persönlichen Gleichung‹« (ebd.).
Deshalb hatte dieser Mann, der sein Leben damit verbracht hatte, die Psychoanalyse zur Wissenschaft zu machen – und zwar zu einer Natur- und nicht etwa einer Geisteswissenschaft –, der den Universitäten Ignoranz vorwarf und gegen die Skeptiker polemisierte, auch keine Angst, sich selbst zu widersprechen, wenn
er die Psychoanalyse zu einer »Deutungskunst« (ebd., S. 260) erklärte.
Er bewegte sich damit weit weg von jeder wissenschaftlichen Methodik, Objektivität oder universellen, überprüfbaren Gesetzmäßigkeit etwa eines Archimedes oder Euklid. Freud definierte die Psychoanalyse als eine Kunst. Geben wir ihm recht. Doch ein Künstler arbeitet nicht nach den strengen Gesetzen der Epistemologie, sondern bewegt sich im Reich der Poesis, also der subjektiven Produktion von Dichtung.
Da der Erfolg dieser analytischen Wissenschaft zum großen Teil vom Charakter und Temperament des Analytikers
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