Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
vielmehr in den Schutz vor Folgeschäden stecken. In nichts anderes. Diese Vorgehensweise lässt sich übertragen auf die Sozialpolitik, auf die Gesundheitspolitik und viele andere Bereiche.
Das findet sich schon in alten Sprichwörtern. So gibt es im Jüdischen die Aufforderung: »Triff Vorsorge für das Schlimmste; das Beste erledigt sich von selbst«, was weitaus weniger banal ist, als es klingt: Man muss sich nur umsehen, wie die Menschen im Allgemeinen für das Beste Vorsorge treffen und hoffen, dass sich das Schlimmste schon von selbst erledigen werde. Es gibt mehr als genug Hinweise darauf, dass die Menschen zwar kleinen Verlusten abgeneigt sind, aber sehr große Risiken, also Schwarze Schwäne, unterschätzen – sie versichern sich gegen kleine, wahrscheinliche Verluste, nicht aber gegen riesige, nicht sehr häufig auftretende Schäden. Dabei sollte man genau andersherum vorgehen.
Raus aus der goldenen Mitte
Fahren wir fort mit unserer Erkundung der Hantelstrategie. Es gibt sehr, sehr viele Bereiche, bei denen die Mitte alles andere als »golden« ist, wo man also am besten nach der bimodalen Strategie (äußerst sicher plus äußerst spekulativ) vorgeht.
Man denke beispielsweise an die Literatur, die kompromissloseste, spekulativste, anspruchsvollste und riskanteste aller beruflichen Tätigkeiten. Es gibt unter französischen und anderen europäischen Literaten die Tradition, sich nach einem ruhigen Arbeitsverhältnis umzusehen, etwa die angstfreie Position eines Beamten anzustreben, bei der intellektuelle Anspruchslosigkeit einhergeht mit hoher Sicherheit – die Art von Job, die in dem Moment zu existieren aufhört, da man das Büro verlässt; in ihrer freien Zeit können die Literaten dann schreiben, was sie wollen, und sind ganz ihr eigener Herr. Unter französischen Autoren finden sich schockierend wenige Akademiker. Amerikanische Autoren sind im Unterschied dazu häufig in den Medien oder an der Universität tätig, was sie allerdings zu Gefangenen des Systems macht und ihr Schreiben korrumpiert. Wer in Forschung und Lehre arbeitet, lebt in beständiger Angst und unter fortgesetztem Druck, was gravierende seelische Deformationen zur Folge hat. Jede Zeile, die man unter Vorgabe fremder Standards zu schreiben gezwungen ist, tötet tief im eigenen Inneren ein korrespondierendes Element ab.
Das Schreiben in Verbindung mit einem ruhigen Job zum Broterwerb hingegen ist eine recht komfortable Angelegenheit, fast so gut, wenn nicht sogar besser als völlige finanzielle Unabhängigkeit. Die großen französischen Autoren Paul Claudel und Saint-John Perse etwa sowie der Romancier Stendhal waren Diplomaten; etliche englische Schriftsteller waren Beamte (Trollope arbeitete bei der Post); Kafka war bei einer Versicherungsgesellschaft angestellt. Das schönste Beispiel: Spinoza verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit dem Schleifen optischer Gläser und schaffte es so, seine Philosophie vollständig gegen den Einfluss irgendwelcher Formen von akademischer Korrumpierung zu immunisieren.
Als Teenager war ich überzeugt, der natürliche Zugang zu einer echten literarischen oder philosophischen Karriere bestehe darin, ebenso wie viele Mitglieder meiner Familie den bequemen, erquicklichen und anspruchslosen Beruf eines Diplomaten zu ergreifen. Unter den Osmanen gab es die Tradition, orthodoxe Christen als Gesandte und Botschafter, ja sogar als Außenminister einzusetzen, eine Sitte, die von den Staaten der Levante beibehalten wurde (mein Großvater und mein Urgroßvater waren Außenminister). Was mich von einer ähnlichen Karriere abhielt, war die Sorge, dass die Stimmung gegen die christliche Minderheit umschlagen würde, wie es ja in der Folgezeit auch tatsächlich geschah. Ich wurde dann Trader und schrieb in meiner Freizeit und, wie der Leser wohl bemerken dürfte, ausschließlich nach meinen eigenen Vorgaben. Die Hantel Geschäftsmann – Gelehrter erwies sich als ideal; wenn ich nachmittags nach drei oder vier Stunden das Büro verließ, hörte mein Beruf bis zum darauffolgenden Tag auf zu existieren, und es stand mir vollkommen frei, meinen eigenen Prioritäten und Interessen nachzugehen. Als ich es eine Zeitlang mit einer akademischen Tätigkeit versuchte, fühlte ich mich wie ein Gefangener, der gezwungen war, sich den lascheren, nur der jeweiligen Eigenwerbung dienenden Programmen anderer anzupassen.
Es ist auch möglich, phasenweise unterschiedliche Berufe zu ergreifen: eine Zeitlang in einer ganz
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