Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
sicheren und anschließend in einer eher gefährdeten Sparte zu arbeiten. Einer meiner Freunde baute sich eine sichere Existenz als Verleger auf, eine Tätigkeit, mit der er sehr erfolgreich war. Dann, nach ungefähr zehn Jahren, gab er das Verlegen von Büchern auf und fing etwas ganz anderes, Hochriskantes an. Hier hat man eine Hantel in Reinform vor sich: Falls seine Spekulation fehlschlägt, oder wenn sie ihm nicht die erhoffte Befriedigung verschafft, kann er in seinen vorigen Beruf zurückkehren. Auch Seneca hatte sich für einen solchen Weg entschieden: Zunächst war sein Leben betriebsam und abenteuerlich, dann zog er sich in die Abgeschiedenheit einer Philosophenexistenz zurück, um zu schreiben und zu meditieren. Einen »Mittelweg«, eine Mischung von beidem gab es nicht. Viele »Macher«, die später zu »Denkern« wurden, beispielsweise Montaigne, haben eine solche Hantelstrategie verfolgt, in der eine Phase die andere ablöste: erst reine Aktion, dann reine Reflexion.
Wenn ich zu arbeiten habe, ziehe ich es vor (und finde es viel weniger mühsam), ein paar wenige Stunden lang intensiv zu arbeiten und den Rest der Zeit nichts zu tun (und mit Nichtstun meine ich wirklich nichts tun), so lange, bis ich mich vollständig erholt habe und mich darauf freue, meine Arbeit wieder aufnehmen zu können. Das kommt mir deutlich mehr entgegen als diese grässlichen endlosen Bürostunden auf Sparflamme mit Schlafentzug nach japanischer Manier. Hauptgericht und Dessert sollten fein säuberlich getrennt bleiben.
Georges Simenon, einer der produktivsten Autoren des 20. Jahrhunderts, schrieb lediglich sechzig Tage pro Jahr, dreihundert Tage brachte er damit zu, »nichts zu tun«. Er verfasste über zweihundert Romane.
Die Domestizierung der Unsicherheit
Ich werde im weiteren Verlauf dieses Buchs noch viele Hanteln vorstellen, die genau diese Asymmetrie aufweisen und auf die eine oder andere Weise, wenn es um Risiken geht, dieselbe Art von Schutz bieten und bei der Nutzung von Antifragilität helfen. Sie ähneln sich alle in bemerkenswerter Weise.
Werfen wir auf einige Bereiche einen genaueren Blick. Was persönliche Risiken angeht, so kann man sich unschwer mit der Hantelstrategie von Schädigungsrisiken in jedem beliebigen Bereich befreien. Ich für meinen Teil bin komplett paranoid hinsichtlich bestimmter Risiken und gegenüber anderen extrem offensiv. Die Regeln lauten: nicht rauchen, kein Zucker (vor allem keine Fruktose), keine Motorräder, keine Fahrräder in Städten oder besser gesagt außerhalb von verkehrsfreien Zonen wie etwa der Sahara, keine Kontakte zu osteuropäischen Mafiafamilien, kein Flugzeug benutzen, das nicht von einem professionellen Piloten geflogen wird (es sei denn, es gibt einen Kopiloten). Darüber hinaus bin ich bereit, alle möglichen beruflichen und persönlichen Risiken einzugehen, vorzugsweise allerdings solche, bei denen die Gefahr einer tödlichen Verletzung ausgeschlossen ist.
In der Sozialpolitik sollte man die wirklich Schwachen beschützen und die Starken sich selbst überlassen, jedenfalls aber nicht der Mittelschicht helfen, ihre Privilegien zu sichern, und so die Evolution blockieren und alle möglichen Probleme schaffen, unter denen die Armen am schlimmsten zu leiden haben.
Bevor das Vereinigte Königreich ein bürokratisch geführter Staat wurde, war es nach Hantelmanier in (sowohl ökonomische als auch ganz handfeste) Abenteurer einerseits und Aristokraten andererseits aufgeteilt. Die Aristokratie spielte keine größere Rolle, abgesehen vielleicht nur davon, dass sie ein gewisses Gefahrenbewusstsein aufrechterhielt, während die Abenteurer auf der Suche nach ergiebigen Märkten in alle Welt ausschwärmten oder zu Hause blieben und an irgendwelchen Apparaturen herumbastelten. Heute leben in der City of London nur noch bourgeoise Bonus-Einstreicher und Pseudo-Bohemiens.
Die Grundstruktur meines Schreibens sieht folgendermaßen aus: Einerseits verfasse ich allgemeinverständliche Essays, andererseits fachspezifische Texte, dazwischen gibt es nichts – also keine Interviews mit Journalisten oder Zeitungsartikel oder Kommentare jenseits dessen, was von den Verlagen vorgegeben wird.
Vielleicht erinnert sich der Leser an meine im zweiten Kapitel dargestellte Trainingsmethode: so viel zu heben, wie man auf einmal schaffen kann, und dann strikt zu pausieren, anstatt sich stundenlang auf moderatem Niveau im Fitnessstudio abzuarbeiten. Ergänzt man solches Gewichtheben mit
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