Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
zu ermitteln. Wenn Sie nicht auch Carlos Slim treffen, wird Ihr Ergebnis wenig aussagekräftig sein. Von allen etwa hundert Millionen Mexikanern dürfte Slim nach meiner Schätzung reicher sein als die unteren siebzig bis neunzig Millionen zusammengenommen. Wenn Sie also das »seltene Ereignis« verpassen, werden Sie das Gesamtvermögen völlig unterschätzen, selbst wenn Sie die Daten von fünfzig Millionen Menschen erheben.
Die Graphen in Abbildung 6 oder auch 7 illustrieren den Ertrag aus dem Versuch-und-Irrtum-Verfahren. Wenn Sie sich aufs Tüfteln einlassen, passieren Ihnen viele kleine Misserfolge, und dann und wann stoßen Sie auf etwas Bedeutendes. Diese Vorgehensweise sieht von außen gar nicht gut aus – die positiven Qualitäten bleiben im Gegensatz zu den Fehlschlägen verborgen.
Im Fall der Antifragilität (bei positiven Asymmetrien, in positiven Schwarzer-Schwan-Unternehmungen), etwa bei Versuch und Irrtum, wird man aufgrund der vorliegenden Daten den langfristigen Durchschnitt eher unterschätzen; verborgen bleiben die Qualitäten, nicht die Schwächen.
(Im Anhang finden Sie ein Diagramm, falls Sie sich das Problem graphisch vor Augen führen wollen.)
Erinnern wir uns an unsere Mission: »Sei kein Truthahn!« Worauf es ankommt: Wenn man es mit einer großen Stichprobe zu tun hat, die Truthahn-Problemen ausgesetzt ist, neigt man dazu, die Anzahl ungünstiger Ereignisse eher niedriger einzuschätzen– seltene Ereignisse sind eben einfach selten und fallen in Datenreihen nicht sonderlich auf, und da das Seltene hier meistens negativer Natur ist, sieht die Darstellung der Realität schöner aus als die Realität selbst. Aber hier haben wir es mit dem Spiegelbild zu tun, der umgekehrten Situation. Im Rahmen von positiven Asymmetrien, also im Fall von Antifragilität, ist das »Unsichtbare« positiv. Die »empirische Evidenz« hat somit die Tendenz, positive Ereignisse zu übersehen und die Gesamtleistung zu unterschätzen.
Für das klassische Truthahn-Problem lautet die Regel folgendermaßen:
Im fragilen Fall negativer Asymmetrien (Truthahn-Problemen) wird man aufgrund der vorliegenden Daten den langfristigen Durchschnitt eher überschätzen; verborgen bleiben die Schwächen, während die Qualitäten herausgestrichen werden.
Was daraus folgt, kann das Leben entscheidend vereinfachen. Da aber die Standardmethoden Asymmetrien außen vor lassen, wird so ziemlich jeder, der nur ein herkömmliches Statistikstudium absolviert und sich nicht tief in die Materie hineinbegeben hat (sich also nur so viel angeeignet hat, dass er dazu in der Lage ist, in den Sozialwissenschaften herumzutheoretisieren oder Studenten zu unterrichten), das Truthahn-Problem nicht verstehen. Ich habe eine einfache Regel: Man darf von denen, die in Harvard unterrichten, deutlich weniger Einsicht in den Lauf der Welt erwarten als von Taxifahrern oder von Personen, die mit vorgestanzten Schlussfolgerungsmethoden erwiesenermaßen nichts zu tun haben (das ist eine Heuristik, sie kann falsch sein, aber sie funktioniert; ich bin darauf gestoßen, als die Harvard Business School den Fragilisten Robert C. Merton in den Lehrkörper aufnahm).
Gönnen wir uns also den Spaß, ein wenig auf Professoren der Harvard Business School herumzuhacken – sie haben es wirklich verdient! Als Beispiel für den ersten Fall (den Irrtum, positive Asymmetrien außer Acht zu lassen) nehmen wir eine Abhandlung von Gary Pisano über das Potential von Biotechnologien. Er beging den elementaren Fehler à la »umgekehrter Truthahn«: Er realisierte nicht, dass in einem Unternehmen mit begrenzten Verlusten und unbegrenztem Potential (dem genauen Gegenteil des Bankwesens) das, was man nicht wahrnehmen kann, einerseits wichtig, andererseits aus vergangenen Ereignissen nicht erschließbar sein kann. Pisano schreibt: »Trotz des kommerziellen Erfolgs mehrerer Unternehmen und der erstaunlichen Ertragssteigerungen für den gesamten Industriezweig erzielen die meisten Biotechnologiefirmen keinen Gewinn.« Das mag stimmen, allerdings ist die Schlussfolgerung daraus falsch – möglicherweise rückwärtsgewandt –, und das in doppelter Hinsicht; und angesichts der gravierenden Konsequenzen ist es hilfreich, die logischen Zusammenhänge noch einmal zu wiederholen. Erstens: Die »meisten Unternehmen« in Extremistan erzielen keinen Gewinn – das seltene Ereignis dominiert, und einige wenige Gesellschaften streichen sämtliche Schekel ein. Und so recht Pisano in Details
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