Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Behauptung (die man als Dummkopf womöglich sogar glaubt), alles nicht schlüssig Begründbare ist nicht akademisch, bedeutet nicht, dass alles nicht Akademische nicht schlüssig begründbar ist. Der Streit zwischen den »rechtmäßigen« Ärzten und den anderen ist aufschlussreich, vor allem wenn man bedenkt, dass die Ärzte heimlich (und widerwillig) einige der von den anderen entwickelten Heilmittel und Heilverfahren kopierten. Aus ökonomischen Gründen mussten sie das tun. Sie profitierten von dem kollektiven Versuch-und-Irrtum-Erfahrungsschatz der anderen, was dazu führte, dass deren Heilverfahren heute Bestandteil der offiziellen Medizin sind.
Und nun, lieber Leser, wollen wir einen Moment innehalten und diesen Menschen unseren Respekt zollen. Machen wir uns klar, wie undankbar wir gegenüber jenen sind, denen wir unsere Existenz verdanken und die dabei nicht einmal wussten, dass sie Helden waren.
50 David Edgerton weist darauf hin, dass man zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaum an das so genannte lineare Modell glaubte; erst heute glauben wir, wir hätten damals an die Überlegenheit teleologischer Wissenschaft geglaubt.
51 Wir konnten unter anderem feststellen, dass zwei Fragilisten – Myron Scholes und Robert Merton – den Memorial Prize in Economics, den so genannten Wirtschafts-Nobelpreis, für die Darstellung einer Formel erhielten, die vor ihnen in sehr viel differenzierterer Form von anderen entwickelt worden war. Darüber hinaus machten sie Gebrauch von fiktionaler Mathematik. Das Ganze ist ziemlich beunruhigend.
52 Ich erinnere den Leser an den Streit in Buch IV um Teleologie und Richtungssinn. Während dieser Bereich von der formellen akademischen Wissenschaft weitgehend skeptisch betrachtet wird (also anti-universitär ist), erweist er sich als entschieden anti-pseudowissenschaftlich (nicht im kosmetischen Sinn wissenschaftlich), dafür höchst pro-wissenschaftlich. Was von vielen Wissenschaft genannt wird, ist im höchsten Maße unwissenschaftlich. Wissenschaft ist ein Problem von Anti-Dummköpfen.
53 Bemerkenswerterweise war Johan Jensen, auf den die Jensen’sche Ungleichung zurückgeht, die eine zentrale Rolle bei der theoretischen Unterfütterung der Ideen dieses Buchs spielt, ein Amateurmathematiker, der nie eine akademische Stelle bekleidet hat.
54 »1/N« ist die Formel, die Mandelbrot und ich im Jahr 2005 anwandten, um auf der Grundlage einfacher mathematischer Zusammenhänge optimierte Portfolios und moderne Finanztheorien zu widerlegen; unter Extremistan-Bedingun gen favorisieren wir eine breite, sehr breite Streuung mit geringen, jeweils gleichen Kontingenten, im Unterschied zu dem, was aktuelle Finanztheorien vorschreiben.
55 Nur wenigen ist bewusst, dass die arabische Denkweise der Abstraktion und abstrakter Wissenschaft im theoretischsten Sinn des Wortes den Vorzug gibt – es ist eine Denkweise, die geradezu gewaltsam rationalistisch und weit entfernt von jedem Empirismus ist.
Kapitel 16
Eine Lektion im Fach Chaos
Wo tobt der nächste Straßenkampf? – Wie man entstandardisiert und detouristifiziert – Der intelligente Student (und seine Umkehrung) – Wer flaniert, hat Optionen
Die nächsten Themen sind Teleologie und Unordnung – im Privatleben und in der Ausbildung. Daran schließt sich eine autobiographische Vignette an.
Das Ökologische und das Ludische
Im siebten Kapitel trat der Fachmann auf, der die weit verbreitete, aber falsche Analogie zu Blackjack herstellte; ich habe in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass es zwei Bereiche gibt: den des Ludischen, der wie ein Spiel strukturiert ist, bei dem also die Regeln im Vorfeld explizit definiert sind; und den Bereich des Ökologischen, bei dem man die Regeln nicht kennt und keine Variablen isolieren kann – wie im wirklichen Leben. Es ist nicht möglich, Fähigkeiten aus dem einen Bereich in den anderen zu übertragen, was in mir eine umfassendere Skepsis entstehen ließ gegenüber jedweder Fähigkeit, die innerhalb eines Klassenzimmers erlernt wird, also letztlich gegenüber allem, was man sich – im Unterschied zu Straßenkämpfen und Situationen im wirklichen Leben – auf nicht-ökologische Weise aneignet.
Ein Umstand, den nur wenige kennen: Es gibt keinen Beweis dafür, dass überragende Fähigkeiten im Schachspiel mit besseren Verstandesleistungen jenseits des Schachbretts einhergehen – sogar Spieler, die Blindschach gegen eine ganze Gruppe von Gegnern spielen, haben, wenn sie nicht am
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