Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
nicht Bestandteil der anfänglichen Kosten-Nutzen-Analyse gewesen, die die Grundlage für die ursprüngliche Entscheidung für die Nutzung der Kernenergie gebildet und auf dem Computerbildschirm einen guten Eindruck gemacht hatte. Wenn wir uns also für eine bestimmte Art der Energiegewinnung zuungunsten einer anderen entscheiden oder ähnliche Vergleiche vorzunehmen haben, dann beziehen wir nicht in unsere Überlegungen mit ein, dass ein Modellirrtum sich auf die eine Seite stärker auswirken könnte als auf die andere.
Umweltverschmutzung und Schädigung der globalen Ökosysteme
Daraus lässt sich eine einfache Regel für die Umweltpolitik ableiten. Wir wissen, dass fossile Brennstoffe nichtlinear schädlich sind. Der Schaden ist notwendigerweise konkav (eine kleine Menge kann unschädlich sein, eine große Menge kann zu schädlichen Klimaverschiebungen führen). Zunächst einmal ist es, um ökologisch konservativ zu sein, gar nicht nötig, dass man an die These glaubt, der Klimawandel sei von Menschen verursacht (möglicherweise ist man aus erkenntnistheoretischen Gründen aufgrund der Undurchschaubarkeit der Verhältnisse dieser Auffassung eher abgeneigt). Wir können schlicht nur die besagten Konvexitätseffekte umsetzen, um eine Risikomanagementregel für den Umgang mit Luftverschmutzung aufzustellen. Wie in Zusammenhängen, bei denen es um Größe geht, ist es auch hier ratsam, die Verschmutzungsquellen auf viele natürliche Quellen aufzuteilen. Der Schaden, der durch die Verschmutzung aus zehn unterschiedlichen Quellen stammt, ist kleiner als jener bei entsprechender Verschmutzung aus einer einzigen Quelle. 65
Werfen wir einen Blick auf der Natur angepasste Vorgehensweisen zur Regulierung von Konzentrationseffekten. Wir Menschen von heute kaufen im Lebensmittelgeschäft immer dieselben Dinge ein, etwa Thunfisch, Kaffee oder Tee, Reis, Mozzarella, Cabernet, Olivenöl und anderes, was wir für unentbehrlich halten. Wegen unserer festgelegten Gewohnheiten, aufgrund zivilisatorischer Anpassungsprozesse und der Unbeweglichkeit der Hersteller bleibt uns fast nichts anderes übrig, als einzelne Produkte im Übermaß zu konsumieren. Diese Konzentration ist schädlich. Exzessiver Verzehr beispielsweise von Thunfisch kann anderen Tieren schaden, das Ökosystem durcheinanderbringen und sogar das Aussterben einer Tierart zur Folge haben. Und nicht genug damit, dass die Schädigung sich nichtlinear vergrößert – die Knappheit führt darüber hinaus zu einem unverhältnismäßig großen Anstieg der Preise.
Unsere Vorfahren verfuhren anders. Jennifer Dunne, eine Komplexitätsforscherin mit dem Spezialgebiet der Jäger-und-Sammler-Gesellschaften, hat Zeugnisse über das Verhalten der Aleuten analysiert, eines nordamerikanischen Ureinwohnerstamms, über dessen Entwicklung uns hinreichende Zeugnisse aus einem Zeitraum von fünf Jahrtausenden vorliegen. Sie waren in ihrem Jagdverhalten bemerkenswert wenig festgelegt und wechselten immer wieder von einer Beutetierart zur anderen. Sie waren weniger rigide als wir und klebten nicht so an Gewohnheiten, wie das für unsere Zivilisation typisch ist. Wenn eine Ressource anfing, knapp zu werden, stellten sie sich auf eine andere ein, ganz so, als wollten sie das Ökosystem erhalten. Sie hatten also ein Verständnis von Konvexitätseffekten, jedenfalls drückt sich ein solches Verständnis in ihrem Verhalten aus.
Die Globalisierung hat den Effekt, schädliche Entwicklungen weltweit auszubreiten – als wäre die ganze Welt ein einziger riesiger Raum mit engen Ausgängen geworden, die Leute rennen alle zu denselben Türen, und die Schäden werden immer größer und treten immer schneller ein. So wie ungefähr jedes Kind Harry Potter liest und sich (zumindest derzeit) bei Facebook registrieren lässt, so verlegen sich auch Leute, wenn sie reich werden, alle auf dieselben Aktivitäten und kaufen dieselben Produkte. Sie trinken Cabernet, hoffen, Venedig und Florenz besuchen zu können, träumen von einem Zweithaus in Südfrankreich und so weiter. Touristenorte werden unerträglich: Besuchen Sie nur einmal im nächsten Juli Venedig.
Die Nichtlinearität von Reichtum
Der fragilisierende Effekt der gegenwärtigen Globalisierung lässt sich zweifellos auf Komplexität zurückführen und darauf, dass Vernetztheit und zivilisatorische Ansteckungsprozesse die Rotationen von ökonomischen Variablen deutlich beschleunigen – das klassische Umschlagen von Mediokristan auf Extremistan. Aber
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