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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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Selbstüberschätzung, gibt es hinreichend Belege. Entscheidungsforscher und Business-Psychologen haben mit Rückgriff auf psychologische Faktoren das Konzept des »Planungsfehlschlusses« entwickelt, mit dem sie den Umstand zu erklären versuchen, dass Projekte in der Regel mehr und selten weniger Zeit beanspruchen.
    Das erklärt allerdings nicht, warum eine solche Fehleinschätzung bis ungefähr zum letzten Jahrhundert fast nie vorzukommen schien, obwohl wir es da mit derselben Sorte Mensch mit denselben Wahrnehmungsverzerrungen zu tun hatten. Viele Großprojekte wurden vor eineinhalb Jahrhunderten im vorgesehenen Zeitrahmen fertiggestellt; viele der imposanten Großbauten und Monumente, die wir heute noch bewundern, sind nicht nur eleganter als modernistische Bauwerke, sondern sie wurden auch innerhalb des ursprünglich veranschlagten Zeitraums, manchmal sogar früher zu einem Ende gebracht. Zu nennen wäre hier nicht nur das Empire State Building (das heute noch in New York steht), sondern auch der Crystal Palace in London, erbaut für die Weltausstellung 1851 in London, das Wahrzeichen des Viktorianischen Zeitalters, das auf den pfiffigen Ideen eines Gärtners beruhte. Die Fertigstellung des Palasts, in dem die Ausstellung stattfand, dauerte vom Planungsstadium bis zur großen Eröffnung gerade einmal neun Monate. Der Bau war ein gewaltiges, 560 Meter langes und 140 Meter breites Glashaus; er wurde aus Glas und gusseisernen Rahmenkomponenten hergestellt, die fast ausschließlich aus Birmingham und Smethwick stammten.
    Doch was wirklich dahintersteckt, wird in der Regel übersehen: Das Crystal-Palace-Projekt arbeitete nicht mit Computern, und die benötigten Teile wurden unweit ihres Ursprungsortes zusammengebaut, die Zuliefererkette bestand also nur aus wenigen Zwischenstationen. Darüber hinaus gab es damals noch keine Business Schools, in denen so etwas wie »Projektmanagement« gelehrt wurde, das zu maßloser Selbstüberschätzung führt. Und es gab keine Beratungsfirmen. Das Agency-Problem (die Abweichung der Interessen des Agierenden von denen seines Kunden) spielte praktisch keine Rolle. Mit anderen Worten, die Wirtschaftssituation war weitaus linearer, weniger komplex als heute. In der heutigen Welt haben wir es viel mehr mit Nichtlinearitäten, Asymmetrien und Konvexitäten zu tun.
    Aufgrund der Komplexität, der Vernetztheit der Teile, der Globalisierung und dieser garstigen Vorstellung von der »Effizienz«, die zur Folge hat, dass die Leute heutzutage viel zu nah am Wind segeln, nehmen Schwarzer-Schwan-Effekte zwingend zu. Und erschwerend kommen noch Berater und Business Schools hinzu. Ein Problem, das an irgendeiner Stelle auftritt, kann das gesamte Projekt zum Stillstand bringen – Projekte haben die Tendenz, so schwach zu sein wie ihr schwächstes Glied (ein akuter negativer Konvexitätseffekt). Die Welt wird zunehmend unvorhersagbar, und wir verlassen uns mehr und mehr auf Technologien, die irrtumsbehaftet sind und schwer abzuschätzende Wechselwirkungen hervorrufen, ganz zu schweigen davon, dass sie vorhersagbar wären.
    Der Schuldige ist die Informationswirtschaft. Bent Flyvbjerg, der bereits im Zusammenhang mit den Brücken- und Straßenbauprojekten erwähnt wurde, weist noch auf eine weitere Folge hin. Die Problematik von Budgetüberschreitungen und Verspätungen ist in Zeiten der Informationstechnologien ( IT ) sehr viel drängender, da Computerprojekte für einen Großteil dieser Budgetüberschreitungen verantwortlich sind; es ist ratsam, sich vornehmlich darauf zu konzentrieren. Doch auch außerhalb von IT -lastigen Projekten kommt es zu gravierenden Verzögerungen.
    Aber die Logik ist einfach: Wieder sind die Konvexitätseffekte die Hauptschuldigen, eine direkte, sichtbare Ursache. Der Art und Weise, wie sich Irrtümer auf einen auswirken, liegt eine Asymmetrie zugrunde – dieselbe wie beim Reisen.
    Kein Psychologe, der mit dem Phänomen des »Planungsfehlschlusses« arbeitete, hat verstanden, dass es sich dabei in Wahrheit nicht um ein psychologisches Problem handelt, dass es gar nicht in erster Linie mit menschlichen Irrtümern zusammenhängt; es ist vielmehr untrennbar verbunden mit der nichtlinearen Struktur von Projekten. So wie Zeit nicht negativ sein kann, kann ein auf drei Monate veranschlagtes Projekt nicht in einem Zeitraum erledigt werden, der Null oder kleiner als Null ist. Wenn man sich also auf dem Zeitstrahl von links nach rechts bewegt, dann vermehren sich die Irrtümer

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