Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
dass das irgendwann geschehen wird), dann sitzen wir in einem Trümmerfeld. Dasselbe Argument haben die englischen Berater Rohan Silva und Steve Hilton zugunsten von kleinen Läden ins Feld geführt, im Sinne des poetischen Leitspruchs »Small is beautiful«. Es ist vollkommen verfehlt, nur mit der Berechnung der Vorteile zu argumentieren, ohne die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns mit einzubeziehen. 63
Wie man ein Kino verlässt
Ein weiteres Beispiel für die Kosten, die entstehen, wenn man in der Klemme sitzt: die Art und Weise, wie Menschen ein brennendes Kino verlassen. Irgendjemand ruft »Es brennt!«, und kurz darauf sterben zwölf Menschen im Gedränge am Ausgang. Das Kino ist also im Verhältnis zu seiner Größe fragil, was darauf zurückzuführen ist, dass jede zusätzliche Person, die das Kino verlassen will, die Verletzungswahrscheinlichkeit weiter erhöht (diese überproportionale Gefährdung ist ein negativer Konvexitätseffekt). Tausend Menschen, die in einer Minute das Kino verlassen (oder zu verlassen versuchen), sind nicht dasselbe wie die gleiche Anzahl, die innerhalb einer halben Stunde den Ausgang benützt. Wenn jemand mit der Materie nicht vertraut ist und die Größe einer Lokalität (beispielsweise des Flughafens Heathrow) auf naive Weise optimiert , dann übersieht er womöglich den Umstand, dass die reibungslose Funktionsweise in regulären Phasen etwas ganz anderes ist als die holprige Funktionsweise in Phasen von akutem Stress.
Fatalerweise verleitet uns unsere gegenwärtige wirtschaftlich optimierte Lebensweise dazu, immer größere Veranstaltungsstätten zu bauen, ohne auch die Ausgänge entsprechend zu vergrößern. Der Fehler wird beim Bau von Kinos und Stadien nicht mehr allzu häufig begangen, in anderen Bereichen jedoch kommt er durchaus noch vor, wie beispielsweise bei den natürlichen Ressourcen und auf dem Lebensmittelsektor. Man bedenke, dass sich der Preis für Weizen in den Jahren 2004 bis 2007 als Reaktion auf eine kleine Erhöhung der Nettonachfrage um ungefähr ein Prozent mehr als verdreifacht hat. 64
Ein Flaschenhals ist die Mutter aller Engpässe.
Projekte und Prognosen
Warum Flugzeuge nie zu früh landen
Beginnen wir wie üblich mit einem Beförderungsproblem, das wir anschließend auf andere Gebiete übertragen. Reisende mögen Ungewissheit im Allgemeinen gar nicht – vor allem, wenn sie an einen bestimmten Zeitplan gebunden sind. Warum? Weil man es hier mit einem Einbahneffekt zu tun hat.
Fast mein ganzes Leben benutze ich schon denselben Flug von London nach New York. Er dauert ungefähr sieben Stunden – so lange brauche ich, um ein kurzes Buch zu lesen, einige höfliche Worte mit dem Sitznachbarn zu wechseln und eine Mahlzeit bestehend aus Portwein, Stilton-Käse und Crackern zu mir zu nehmen. Einige wenige Male kam es vor, dass ich zu früh ankam, aber nicht mehr als zwanzig Minuten. Andererseits kam es häufig vor, dass ich mit einer mehr als zwei- oder dreistündigen Verspätung landete, und mindestens einmal habe ich über zwei Tage gebraucht, um an mein Ziel zu gelangen.
Da eine Reisezeit natürlich nicht negativ sein kann, verursacht Ungewissheit Verspätungen, die Ankunftszeit wird sich also nach hinten verschieben, und nur äußerst selten kommt ein Flugzeug früher an. Oder die Ankunftszeit verschiebt sich vielleicht um wenige Minuten nach vorne, aber um Stunden nach hinten, eine offensichtliche Asymmetrie. Alles Unerwartete, jeder Schock, jede Volatilität trägt mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit dazu bei, dass sich die Gesamtflugzeit erhöht.
Das erklärt in gewisser Weise auch die Unumkehrbarkeit der Zeit, wenn Sie das Verstreichen von Zeit als Zunahme von Unordnung interpretieren.
Übertragen wir die Vorstellung jetzt auf die Planung von Projekten. So wie wenn bei einem Flug ein Unsicherheitsfaktor dazukommt und die Flugzeuge in aller Regel später, nicht früher landen (diese physikalischen Gesetze sind so universal, dass sie sogar in Russland gelten), so ergeht es auch einem Projekt: Fügt man einen Unsicherheitsfaktor hinzu, dann steigen die Kosten, und es dauert länger, bis es fertiggestellt ist. Das gilt für viele, eigentlich für alle Projekte.
Früher glaubte ich, hier spiele ein psychologischer Verzerrungseffekt eine Rolle, die Unterschätzung der zufälligen Struktur der Realität – Projekte brauchen länger als geplant, weil die Schätzungen zu optimistisch waren. Für derlei Einschätzungsfehler, die so genannte
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