Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
anzustellen und teilte ganz nach Belieben der Öffentlichkeit oder sonst jemandem lediglich das mit, was die Firma selbst für richtig hielt. Nur ein Überläufer konnte uns also einen Einblick in die Interna der Risikokalkulationen verschaffen.
Wir schauten uns den Bericht an: Eine Aufwärtsbewegung in einer ökonomischen Variablen hatte massive Verluste zur Folge, eine Abwärtsbewegung kleine Gewinne. Weitere Aufwärtsbewegungen würden zu jeweils noch größeren zusätzlichen Verlusten führen, weitere Abwärtsbewegungen zu jeweils noch kleineren Gewinnen. Es sah genauso aus wie die Geschichte mit dem Stein in Abbildung 9. Die Beschleunigung des Schadens war deutlich erkennbar – und sie war gewaltig. Wir sahen sofort, dass der Zusammenbruch der Firma unvermeidlich war: Ihre Situation war im höchsten Maße »konkav«, ähnlich wie die Verkehrskurve in Abbildung 14. Es handelte sich um Verluste, die beim Abweichen ökonomischer Variablen zunehmen (ich musste gar nicht verstehen, um welche Variablen es sich im Einzelnen handelte, denn die Fragilität einer Variablen in dieser Größenordnung zieht die Fragilität sämtlicher anderer Parameter nach sich). Ich arbeitete nur mit meinen Emotionen, nicht mit meinem Gehirn, und mich traf fast der Schlag, noch bevor ich die vor mir liegenden Zahlen ganz verstanden hatte. Ich hatte hier die Mutter aller Fragilitäten vor mir, und mit Hilfe von Berenson konnte ich meine Sorge in der New York Times zum Ausdruck bringen. Es schloss sich eine Diffamierungskampagne gegen mich an, von der ich mich aber nicht weiter irritieren ließ. Ich hatte nämlich in der Zwischenzeit einige Verantwortliche bei Fannie Mae als Scharlatane bezeichnet, was bei den Betroffenen keine allzu große Begeisterung ausgelöst hatte.
Entscheidend ist der Umstand, dass das Nichtlineare durch Extremereignisse wesentlich stärker in Mitleidenschaft gezogen wird – und keiner interessierte sich für Extremereignisse, denn dagegen hatten alle eine mentale Blockade.
Ich erzählte jedem, der es hören wollte, sogar jedem zufällig meinen Weg kreuzenden Taxifahrer (naja, fast jedem), dass die Firma Fannie Mae »auf einer Tonne Dynamit sitzt«. Natürlich passieren Zusammenbrüche nicht jeden Tag (auch schlecht gebaute Brücken krachen nicht sofort zusammen), mir wurde also weiterhin vorgehalten, meine Meinung sei falsch und unbegründet (wobei dann das Argument angeführt wurde, dass die Aktie doch steigen würde, oder womöglich noch zirkulärerer Unsinn). Ich kam außerdem zu dem Schluss, dass weitere Institutionen, fast sämtliche Banken, in derselben Situation waren. Nachdem ich ähnliche Einrichtungen untersucht und festgestellt hatte, wie weit verbreitet das Problem war, kam ich zu der Erkenntnis, dass ein totaler Zusammenbruch des Bankensystems bevorstand. Ich war mir meiner Sache derart sicher, dass ich nicht mehr geradeaus sehen konnte und zur Börse zurückkehrte, um mich an den Truthähnen zu rächen. Ich kam mir vor wie der Pate im dritten Teil des gleichnamigen Films: »In dem Moment, als ich dachte, ich bin draußen, ziehen sie mich wieder rein.«
Der Gang der Ereignisse ließ in mir den Eindruck entstehen, es sei alles vom Schicksal geplant gewesen. Fannie Mae ging bankrott, und weitere Banken mit ihr. Es dauerte nur etwas länger, als ich angenommen hatte – aber das spielt ja keine Rolle.
Das Dumme an der Geschichte ist, dass ich das Verbindungsglied zwischen finanzieller und genereller Fragilität nicht erkannte – überhaupt, dass ich den Terminus »Fragilität« gar nicht benutzte. Vielleicht habe ich nicht genug Porzellantassen betrachtet. Jedenfalls hatte ich dank der Episode in meiner Dachwohnung einen Maßstab für Fragilität und damit auch für Antifragilität.
Es läuft auf Folgendes hinaus: Man muss herausfinden, ob unsere Fehlkalkulationen oder falschen Vorhersagen im Endeffekt eher schädlich oder eher nützlich sind, und wie groß die Beschleunigung des Schadens ausfällt. Wie in der Geschichte mit dem König, wo der Schaden, den ein Stein von zehn Kilogramm Gewicht anrichtet, mehr als doppelt so groß ist wie der Schaden eines Fünf-Kilogramm-Steins. Eine solche Schadensbeschleunigung bedeutet, dass ein großer Stein die Person irgendwann einmal umbringen wird. Genauso wird eine umfangreiche Marktabweichung eine Firma irgendwann in den Ruin treiben.
Als mir dann klar wurde, dass Fragilität sich unmittelbar aus Nichtlinearität und Konvexitätseffekten ableitet und dass
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