Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
für solche Sorten mehr bezahle, an deren Herstellungsweise sich seit mehreren Jahrhunderten nichts geändert hat.
Hätte sich jemand im Jahr 1950 ein solches relativ alltägliches Treffen ausgemalt, dann hätte seine Fantasie ihm eine ganz andere Szenerie eingegeben. Ich werde Gott sei Dank keinen schimmernden synthetischen Anzug im Raumfahrtstil tragen und werde keine nährwertoptimierten Pillen zu mir nehmen, während ich mich mit meinen Essensgefährten via Bildschirm austausche. Stattdessen werden sich von meinen Tischgenossen durch die Luft Bakterien auf mein Gesicht übertragen, denn sie befinden sich nicht in irgendwelchen abgelegenen Menschenkolonien am Rand der Galaxie. Das Essen wird mit Hilfe einer extrem archaischen Technologie (Feuer) zubereitet, und dabei kommen Küchengeräte zum Einsatz, die sich seit der Zeit der Römer nicht verändert haben (sieht man einmal ab von der Qualität bestimmter Metalle).
Abbildung 17: Küchenutensilien aus Pompeji, die sich nur unwesentlich von denen unterscheiden, die man heute in (guten) Küchen antrifft.
Ich werde auf einer (mindestens) dreitausend Jahre alten Vorrichtung sitzen, die gemeinhin als Stuhl bezeichnet wird (sie unterscheidet sich nur hinsichtlich der sparsameren Ausführung von ihrem majestätischen ägyptischen Vorläufer). Und ich werde mich nicht auf einem fliegenden Motorrad in das Restaurant begeben. Ich werde zu Fuß dorthin gehen oder, wenn ich spät dran bin, ein Taxi benutzen, an dessen Technik sich seit über einhundert Jahren nichts Wesentliches geändert hat. Der Taxifahrer wird ein Immigrant sein – Immigranten haben schon vor einem Jahrhundert als Taxifahrer in Paris gearbeitet (russische Aristokraten), heute tun sie es in Berlin und Stockholm (Iraker und kurdische Flüchtlinge), in Washington, D. C. (äthiopische Post-Doktoranden), in Los Angeles (hochmusikalische Armenier) und (verschiedenster Herkunft) in New York.
David Edgerton hat gezeigt, dass Anfang des 21. Jahrhunderts mehr als zweieinhalbmal so viele Fahrräder wie Autos hergestellt werden und dass wir den größten Teil unserer Technologieressourcen in die bereits vorhandene Ausrüstung stecken oder in die Verbesserung alter Technologien (das ist übrigens nicht nur ein chinatypisches Phänomen: Auch Städte der westlichen Welt unternehmen immer entschiedenere Vorstöße in Richtung Radfahrerfreundlichkeit). Außerdem ist eine der wichtigsten Technologien in einem Gegenstand umgesetzt, über den die Leute am wenigsten reden: das Kondom. Ironischerweise soll das Kondom gerade nicht den Anschein erwecken, ein technischer Gegenstand zu sein, und so wurden immer wieder Verbesserungen vorgenommen mit dem Ziel, seine Wahrnehmbarkeit weiter zu reduzieren.
Der grundlegende Irrtum besteht also in Folgendem: Wenn wir uns die Zukunft vorstellen sollen, neigen wir dazu, von der Gegenwart als Grundszenario auszugehen und uns dann ein spekulatives Tableau auszumalen, indem wir diesem Grundszenario neue Technologien und Produkte hinzufügen, die uns irgendwie, ausgehend von Entwicklungen in der Vergangenheit, sinnvoll erscheinen. Außerdem entwickelt sich unsere Vorstellung einer zukünftigen Gesellschaft aus unserer dem gegenwärtigen Augenblick geschuldeten Utopie und wird weitgehend von unseren Wünschen bestimmt – sieht man einmal ab von den wenigen so genannten Untergangspropheten, dann wird unser Bild von der Zukunft zum Großteil von unseren Wünschen bestimmt. Daher stammt unsere Tendenz zur Über-Technologisierung und zur Unterschätzung der Macht von Dingen wie den Rädchen an Koffern, die uns wohl auch noch die nächsten Jahrtausende begleiten werden.
Ein Wort zur Blindheit für diese Über-Technologisierung. Nachdem ich aus dem Finanzleben ausgeschieden war, besuchte ich einige dieser schicken Konferenzen, auf denen prä- und post-reiche Technologen und eine bestimmte neue Kategorie von Technik-Intellektuellen auftreten. Zunächst einmal war ich erfreut festzustellen, dass sie keine Krawatten trugen, denn während meiner Zeit unter den damals noch krawattentragenden Bankern hatte ich die Illusion entwickelt, ein Mann, der keine Krawatte trage, könne unmöglich einer dieser leeren Anzüge sein. Aber die Konferenzen waren, obwohl sie jede Menge bunt glänzende computerisierte Bilder und schicke Animationen boten, furchtbar deprimierend. Ich war hier eindeutig fehl am Platz. Mich störte nicht nur der additive Umgang mit der Zukunft, der dort üblich war (der Fehler, zur
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