Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
wird, die Bürokratie – etwas ausgesprochen Modernistisches – handhabbarer, als sie es in den Tagen der Pappendeckelakten gewesen ist. Und mit ein bisschen Glück wischt ein Computervirus sogar noch sämtliche Daten weg und befreit die Menschen von den Fehlern, die sie in der Vergangenheit gemacht haben.
Auch jetzt gerade mache ich Gebrauch von einer Technologie zur Aufhebung von Technologie. Sie erinnern sich an meinen Spaziergang zum Restaurant, in Schuhen, die sich gar nicht so sehr von denen unterscheiden, die der in den Alpen gefundene Steinzeitmensch an den Füßen hatte. Nachdem die Schuhindustrie Jahrzehnte damit zugebracht hat, perfekte Geh- und Laufschuhe zu »designen«, mit allen möglichen »Stütz«-Mechanismen und Dämpfungsmaterialien, verkauft sie uns mittlerweile Schuhe, die das Barfußgehen simulieren – diese Schuhe sollen funktional so zurückhaltend sein, dass ihr einziger erklärter Zweck darin besteht, unsere Füße vor den Elementen zu schützen, nicht aber – im Gegensatz zur modernistischeren Absicht – uns vorzugeben, wie wir zu gehen haben. Sie verkaufen uns sozusagen die schwieligen Füße eines Jägers und Sammlers – wir können diese schwieligen Füße anziehen, herumspazieren und sie wieder ablegen, wenn wir in die Zivilisation zurückkehren. Es ist eine herrlich aufregende Erfahrung, bei Spaziergängen in der Natur solche Schuhe anzuhaben; man entdeckt eine ganz neue Dimension, wenn man die Dreidimensionalität der Erde unter den Füßen spürt. Normale Schuhe fühlen sich meistens an wie starre Gehäuse, die uns von unserer Umgebung abtrennen. Und Schuhe dieser neuen Art können sogar elegant sein: Die Technologie steckt in der Sohle, nicht im Schuh, die neue Art von Sohlen ist robust und gleichzeitig sehr dünn, sodass sich der Fuß an die Erde schmiegen kann, als wäre er nackt – meine schönste Entdeckung ist ein in Brasilien hergestellter Mokassin, der aussieht wie ein italienischer Schuh; solche Schuhe kann ich sowohl beim Waldlauf als auch bei Restaurantbesuchen tragen.
Vielleicht sollte man uns einfach verstärkte wasserdichte Socken verkaufen (also genau das, was der Typ in den Alpen getragen hatte), aber das wäre dann wohl für den Hersteller doch zu wenig profitabel. 71
Und grandios an Tablet-Computern (besonders am iPad) ist, dass sie uns erlauben, zu den babylonischen und phönizischen Wurzeln des Schreibens zurückzukehren und genau wie zu Beginn der Schriftkultur auf Tafeln (englisch »tablets«) zu schreiben. Man kann auf dem Tablet hand- beziehungsweise fingerschriftlich Notizen festhalten, und wie viel angenehmer ist es doch, von Hand zu schreiben, als sich an die äußeren Vorgaben einer Tastatur anpassen zu müssen! Mein Traum wäre, irgendwann einmal alles mit der Hand schreiben zu können, so, wie es für Schriftsteller früher völlig normal war. Vielleicht ist es ja eine Eigenschaft der Technik, nur durch sich selbst ersetzt werden zu wollen.
Im nächsten Abschnitt möchte ich zeigen, inwiefern die Zukunft ganz überwiegend in der Vergangenheit enthalten ist.
Rückwärts altern: Der Lindy-Effekt
Es wird jetzt technischer, Zeit also für eine Differenzierung. Wir unterscheiden einen Bereich des Vergänglichen (Menschen, einzelne Gegenstände) von einem nicht vergänglichen Bereich potentiell für immer bestehender Phänomene. Unvergänglich ist alles, was kein organisch unausweichliches Ablaufdatum hat. Das Vergängliche ist üblicherweise ein Objekt, wohingegen das Unvergängliche eher informationeller Natur ist. Ein einzelnes Auto ist vergänglich, die Technologie des Automobils jedoch hat sich mittlerweile bereits seit ungefähr einem Jahrhundert gehalten (und ich nehme an, sie wird auch noch ein weiteres Jahrhundert überstehen). Menschen sterben, aber ihre Gene – also ein Code – nicht unbedingt. Ein Buch als physisches Objekt, beispielsweise eine Abschrift des Alten Testaments, ist vergänglich, nicht jedoch seine Inhalte, die sich in anderen Büchern, also anderen physischen Objekten, neu festhalten lassen.
Lassen Sie mich meine Idee zunächst in libanesischer Mundart ausdrücken. Wenn Sie einen jungen und einen alten Menschen sehen, können Sie mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass der Jüngere den Älteren überleben wird. Bei unvergänglichen Dingen wie beispielsweise einer bestimmten Technologie ist das nicht der Fall. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder haben beide dieselbe Lebenserwartung (in dem Fall würde die
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