Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Berufsentscheidung darstellt, wenn man eine dicke Haut hat, einen verlässlichen Freundeskreis, wenig Zugang zum Internet, eine Bibliothek mit einer ausreichenden Menge an Sprichwörtern aus der Antike und vielleicht noch die Möglichkeit, persönliche Vorteile aus der Tätigkeit des Prophezeiens zu ziehen. Die Erfolgsgeschichte der Propheten zeigt: Bevor sich herausstellt, dass man recht hat, wird man geschmäht; wenn sich die Vorhersagen bewahrheitet haben, wird man eine Zeitlang gehasst oder – was schlimmer ist – die Aussagen werden aufgrund retrospektiver Verzerrung als »trivial« empfunden. Das sind alles Gründe, sich eher der Methode von Fat Tony zu bedienen, also mehr Wert auf Schekel als auf Anerkennung zu legen. Und in der Moderne hat sich am Verhältnis zu Propheten kaum etwas geändert: Die Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, die sich mit den falschen Ideen, etwa dem Kommunismus oder gar dem Stalinismus, identifiziert haben, sind immer noch in Mode – ihre Bücher stehen nach wie vor in den Buchläden –, wohingegen diejenigen, die (wie beispielsweise der politische Philosoph Raymond Aron) die Probleme kommen sahen, sowohl vorher schnöde ignoriert wurden als auch danach, nachdem sich herausstellte, dass sie die Entwicklung durchaus richtig vorhergesehen hatten.
Schließen Sie jetzt die Augen und versuchen Sie, sich Ihre zukünftige Umgebung vorzustellen – sagen wir in fünf, in zehn oder in fünfundzwanzig Jahren. Sehr wahrscheinlich wird Ihre Fantasie diese Realität mit neuen Dingen versehen, mit Dingen, die wir mit Begriffen wie Innovation, Fortschritt, Killertechnologie undanderen uneleganten, abgedroschenen Wörtern aus dem Jargon von Geschäftsleuten assoziieren. Diese weit verbreiteten Vorstellungen von Innovation sind, wie wir sehen werden, nicht nur ästhetisch abstoßend, sondern auch sowohl unter empirischen wie philosophischen Gesichtspunkten Unsinn.
Warum? Sie haben wahrscheinlich in Ihrer Zukunftsfantasie zur gegenwärtigen Realität Dinge hinzugefügt. Damit haben Sie aber, wie ich in diesem Kapitel zeigen möchte, genau die falsche Richtung eingeschlagen: Wenn man wirklich konsequent nach den Kriterien Fragilität und Antifragilität vorgeht, muss man aus dem Zukunftsszenario Sachen wegnehmen , muss es reduzieren um Dinge, die in der zukünftigen Welt nicht mehr vorkommen werden. Via Negativa . Was fragil ist, wird irgendwann zerbrechen; und glücklicherweise können wir problemlos feststellen, was fragil ist. Positive Schwarze Schwäne sind weniger vorhersehbar als negative.
»Die Zeit hat scharfe Zähne, die alles zermalmen«, so der Dichter Simonides von Keos im 6. Jahrhundert (v. Chr.); vielleicht war er sogar der Erste in der langen Reihe von Dichtern des Abendlandes, die vom Motiv des erbarmungslosen Wirkens der Zeit umgetrieben wurden. Ich könnte eine Unmenge an eleganten klassischen Formulierungen anführen, von Ovid ( tempus edax rerum – die Zeit verschlingt alles) bis zu der nicht weniger poetischen französisch-russischen Schriftstellerin Elsa Triolet (»Die Zeit verbrennt, hinterlässt aber keine Asche«). Natürlich regte diese Übung meine poetische Ader an, ich summe jetzt also die Vertonung eines französischen Gedichts vor mich hin: »Avec le temps« – die Zeit löscht alles aus, auch die schlimmen Erinnerungen (was hier unerwähnt bleibt: dass sie in ihrem Lauf auch uns selbst auslöscht). Dank der Konvexitätseffekte können wir diesen Sachverhalt mit etwas Wissenschaft anreichern und eigens eine Liste der Dinge aufstellen, die am schnellsten von der erbarmungslosen Zeit verschlungen werden. Das Fragile wird irgendwann zerbrechen – und glücklicherweise können wir erkennen, was fragil ist. Auch das, was wir für antifragil halten, wird irgendwann zugrunde gehen, doch wird das sehr, sehr viel länger dauern (Wein wird im Lauf der Zeit besser, doch das gilt nur für eine begrenzte Zeit; und ganz sicher ist es nicht der Fall, wenn Sie ihn in einem Vulkankrater lagern).
Die Zeile von Simonides, mit der der vorige Absatz begann, wird präzisiert mit den Worten »selbst das Solideste«. Simonides hatte also bereits eine Ahnung von der nützlichen Idee, dass das Solideste zwar nicht ohne Weiteres, aber letztlich doch ebenfalls verschlungen wird. Was ihm natürlich nicht in den Sinn kam, war, dass etwas antifragil, also unverschlingbar sein kann.
Ich bleibe dabei: Nur die Via-Negativa-Methode führt zu sinnvollen Prophezeiungen. Es gibt – vor allem in
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