Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
unserer heutigen komplexen Welt – keinen anderen Weg, eine Vorhersage zu treffen, will man nicht an irgendeiner Stelle zum Truthahn werden. Ich sage nicht, dass keine neuen Technologien entstehen werden – es wird sich immer irgendetwas Neues für einen begrenzten Zeitraum durchsetzen. Was zu einem bestimmten Zeitpunkt fragil ist, wird später durch etwas anderes ersetzt. Aber dieses »Etwas« ist eben nicht vorhersagbar. Sehr wahrscheinlich sind die Technologien, die Ihnen vorschweben, nicht identisch mit denen, die sich durchsetzen werden, ganz gleich, wie leistungsfähig und passend sie Ihnen vorkommen mögen – womit ich keineswegs Ihre Vorstellungskraft unterschätzen will.
Vergessen wir nicht: Das Fragilste ist das Vorhergesagte, das, was auf der Basis von Vorhersagbarkeit aufbaut – mit anderen Worten diejenigen, die Schwarze Schwäne unterschätzen, verschwinden irgendwann aus der Population.
Wir begegnen hier einem interessanten, offensichtlichen Paradoxon: Diesen Prinzipien zufolge sind langfristige Vorhersagen verlässlicher als kurzfristige, denn man kann ziemlich sicher sein, dass das, was für Schwarze Schwäne anfällig ist, irgendwann von der Geschichte verschluckt wird, und das wird umso wahrscheinlicher, je mehr Zeit vergeht. Andererseits vermindert sich der Wert typischer Vorhersagen (wenn sie sich nicht auf das gegenwärtig Fragile beziehen) mit dem Fortschreiten der Zeit; vor dem Hintergrund von Nichtlinearitäten wird die Genauigkeit einer Vorhersage immer schlechter, je weiter sie in die Zukunft ausgreift. Die Fehlerquote für eine Zehn-Jahres-Prognose beispielsweise der Verkaufszahlen einer Computerfirma oder der Gewinne eines Anbieters irgendwelcher Bedarfsgüter kann gut und gern tausendmal höher sein als die Fehlerquote einer Ein-Jahres-Prognose.
Lernen, wie man subtrahiert
Überlegen Sie einmal, welche Zukunftsentwürfe im Lauf der letzten eineinhalb Jahrhunderte entstanden sind. Sie schlugen sich nieder in den Romanen von Jules Verne, H. G. Wells und George Orwell oder auch in mittlerweile vergessenen Schilderungen von Wissenschaftlern oder Futuristen. Es ist bemerkenswert, dass sich von den Technologien, die heute die Welt beherrschen, wie etwa das Internet oder banalere Dinge wie der mit Rädern versehene Koffer aus Buch IV , in diesen Prognosen nicht die geringste Spur findet. Doch der größte Irrtum besteht nicht darin, all das nicht vorhergesehen zu haben. Das Problem ist, dass nahezu alles aus diesen Entwürfen nie Wirklichkeit wurde, sieht man einmal ab von ein paar ganz wenigen, sattsam ausgeschlachteten Beispielen (der Dampfmaschine des Heron von Alexandria oder Leonardo da Vincis Entwurf eines Panzers). Unsere Welt sieht ihrer Welt zu ähnlich, sehr viel ähnlicher, als es sich diese Propheten je vorstellen konnten oder wollten. Und wir neigen dazu, für diesen Umstand blind zu sein – offenbar gibt es keinen Korrekturmechanismus, der uns diese Tatsache vor Augen führen würde, denn nach wie vor entwerfen wir Bilder von einer hoch technisierten Zukunft.
Ein Auswahlfehler ist hier nicht auszuschließen: Diejenigen, die mit Hingabe solche Darstellungen der Zukunft erfinden, tendieren wohl zu (unverbesserlicher, untherapierbarer) Neomanie , der Leidenschaft für das Moderne um seiner selbst willen.
Heute Abend werde ich mich mit Freunden in einem Restaurant treffen (Tavernen gibt es seit mindestens fünfundzwanzig Jahrhunderten). Ich werde für meinen Spaziergang dorthin Schuhe anhaben, die sich kaum von denen unterscheiden, die vor dreiundfünfzig Jahrhunderten von dem mumifizierten Mann getragen wurden, der in einem Gletscher der österreichischen Alpen entdeckt wurde. Im Restaurant werde ich Besteck benutzen, eine mesopotamische Technologie, die als wahre »Killerapplikation« durchgehen kann, erlaubt sie mir doch, Fleischstücke von einer Lammkeule zu entfernen, ohne mir die Finger zu verbrennen. Ich werde Wein zu mir nehmen, ein Getränk, das seit mindestens sechs Jahrtausenden im Gebrauch ist. Der Wein wird in Gläsern ausgeschenkt – sie sind eine Innovation, von der meine libanesischen Landsleute behaupten, sie gehe auf ihre phönizischen Vorfahren zurück, und wenn Ihnen die Informationsquelle dubios erscheint, können wir uns darauf einigen, dass sie seit mindestens neunundzwanzig Jahrhunderten mit Gegenständen aus Glas, mit »Tand«, Handel trieben. Nach dem Hauptgericht werde ich das Produkt einer etwas jüngeren Technik genießen: Käse, bei dem ich
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