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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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korrekt vorausgesagt, dass die Pyramiden die Mauer überleben würden.
    Die Proportionalität in der Lebenserwartung muss nicht ausdrücklich getestet werden – sie ist auch im Zusammenhang mit Langlebigkeit ein direktes Resultat des Effekts, dass der Gewinner alles bekommt.
    Zwei Fehler unterlaufen häufig, wenn ich diese Idee vorstelle – viele Menschen haben Schwierigkeiten, mit den wahrscheinlichkeitstheoretischen Begriffen zurechtzukommen, vor allem wenn sie zu viel Zeit im Internet verbracht haben (wobei sie das Internet nicht einmal brauchen, um verwirrt zu sein; wir alle haben von Natur aus Probleme mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung). Der erste Fehler besteht meistens darin, dass mir Gegenbeispiele von Technologien präsentiert werden, deren Ineffizienz und Aussterben wir gegenwärtig beobachten können – etwa Überlandkabel für das Telefonnetz, Zeitungen in Papierform und öffentlich zugängliche Kästen mit Vordrucken für die Steuererklärung. Meistens werden diese Einwände mit einem gereizten Unterton vorgetragen, da neomanische Persönlichkeiten sich von meinen Ausführungen angegriffen fühlen. Aber mein Argument bezieht sich nicht auf jede Technologie, sondern auf die Lebenserwartung, die sich schlicht aus einem von Wahrscheinlichkeiten abgeleiteten Durchschnitt ergibt. Wenn ich weiß, dass ein 40-jähriger Mann Magenkrebs im Endstadium hat, werde ich selbstverständlich, wenn es um seine Lebenserwartung geht, keine bedingungsfreien Versicherungstabellen mehr zu Rate ziehen; es wäre völlig verfehlt anzunehmen, dass er noch 44 Jahre Lebenszeit vor sich hat wie eine durchschnittliche Person seiner Altersgruppe ohne Krebs. Und einmal interpretierte jemand (ein Technologie-Guru) meine Idee dahingehend, dass das World Wide Web, da es momentan noch keine 20 Jahre alt ist, lediglich weitere 20 Jahre fortexistieren werde – das ist nichts als eine Aufmerksamkeit heischende Schätzung, die mit dem Durchschnitt und nicht jedem einzelnen Fall arbeiten sollte. Doch im Großen und Ganzen gilt: Je älter eine Technologie ist, desto länger wird sie auch weiterhin Bestand haben, und mit umso größerer Sicherheit kann ich eine solche These aufstellen. 75
    Und nicht zu vergessen: Ich sage nicht, dass sämtliche Technologien nicht altern, sondern lediglich, dass die Technologien, die altersanfällig waren, bereits tot sind.
    Der zweite Fehler – nicht nur ein logischer Irrtum, sondern auch ein Vorurteil – besteht darin, zu glauben, man würde sich »jung« verhalten, indem man sich einer »jungen« Technologie bedient. Er führt zur Umkehrung der Bedeutung generationsspezifischer Beiträge und erweckt die Illusion, die neue Generation habe im Vergleich zur älteren mehr zu geben – statistisch gesehen kommt von den »Jungen« allerdings fast nichts. Ein Fehler, den schon viele gemacht haben; erst kürzlich begegnete ich einem aufgebrachten »futuristischen« Berater, der Leuten, die sich nicht auf jedes Technologieangebot stürzten, vorwarf, sie würden »alt denken« (wobei dieser Berater älter ist als ich und wie die meisten Technikfanatiker, die ich kenne, krank aussieht und birnenförmig, und zwischen Kinn und Hals keinerlei klaren Übergang mehr erkennen lässt). Ich verstand nicht, warum man sich ausgerechnet »alt« verhält, wenn man historische Dinge schätzt. Wenn ich also am liebsten antike (»ältere«) Autoren lese, dann würde ich mich »älter« verhalten, als wenn ich mich für »jüngere« mittelalterliche Themen interessiere? Das ist ja, als würde man meinen, man würde zu einem Rind, wenn man Rindfleisch isst. Eigentlich ist es sogar ein noch gravierenderer Irrtum als der Vergleich aus dem Bereich Ernährung: Eine Technologie ist informationell und nicht physisch, sie altert im Unterschied zum Menschen nicht organisch, jedenfalls nicht notwendigerweise. Das Rad ist nicht »alt« im Sinn von degeneriert.
    Diese Vorstellung von »jung« und »alt« ist, wenn man sie auf das Verhalten der Massen überträgt, sogar noch gefährlicher. Wenn Menschen, die keine vorgefertigten, aufgebauschten 18-Minuten-Referate im Web konsumieren, sich einmal die Teens und Twens genauer anschauen würden, die sich mit solchen Dingen abgeben und die angeblich den Schlüssel zur Zukunft in der Hand halten, dann würden sie sicher anders denken. Die Jungen tragen viel zum Fortschritt bei, da sie relativ systemunabhängig sind und den Mut haben zu handeln, einen Mut, der älteren Menschen, wenn sie erst einmal

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